Erik Olin Wright: Warum Klasse zählt © Suhrkamp
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Sachbuch - Erik Olin Wright: "Warum Klasse zählt"

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Nachdem 1989 die Mauer fiel, verschwand auch die Rede von der Klassengesellschaft. Sowohl in der Soziologie als auch in der medialen Öffentlichkeit sprach man lieber von Schichten und Milieus. Doch die ökonomische Ungleichheit hat sich seitdem verschärft, und so erlebt auch die Klasse derzeit ihr Comeback. Der Band "Warum Klasse zählt" von Erik Olin Wright macht nun deutlich, dass wir nach wie vor gute Gründe dafür haben, unsere Gesellschaften als Klassengesellschaften zu bezeichnen.

Der 2019 verstorbene Soziologe Erik Olin Wright ist einer der renommiertesten Vertreter der angelsächsischen Soziologie und mit dem nun erschienen Band liegt nun erstmals ein wichtiger Essay von Wright auch auf Deutsch vor.

In der Abhandlung "Understanding Class. Towards an Integrated Analytical Approach", die erstmals 2009 in der Zeitschrift "New Left Review" erschien, umreißt Wright die fundamentalen Grundlinien seiner Klassenanalyse. Wright bezeichnet sich selbst als analytischen Marxisten und hält an der grundsätzlichen Unterscheidung fest, die schon Marx für das Klassenverhältnis ins Spiel gebracht hat.

Ergänzung von Marx' Modell der Klassengesellschaft

Auf der einen Seite stehen demnach Menschen, die Betriebe und Firmen besitzen, auf der anderen Menschen, die lohnabhängig beschäftigt sind und nur ihre "Arbeitskraft" zu verkaufen haben, wie Marx sagen würden. Zwischen beiden Fraktionen besteht ein grundlegender Interessenkonflikt, da Gewinne ja nicht zuletzt durch die Senkung von Lohnkosten erzielt werden können. Das führt im Arbeitskampf zu einem antagonistischen Verhältnis, wie etwa auch der Soziologe Oliver Nachtwey betont, der das Nachwort zu Wrights Aufsatz beigesteuert hat.

Doch die marxsche Definition ist nach Wright zu grob, um Ungleichheiten in unserer Gesellschaft vollständig zu erfassen. In der Klasse der Lohnabhängigen finden wir etwa ganz verschiedene Lohnniveaus, wer dort welchen Platz einnimmt, hängt selbst von vielen Faktoren ab, etwa von Bildungschancen oder Diskriminierung.

Um diese Verhältnisse zu erfassen, ergänzt Wright sein Modell der Klassengesellschaft um eine differenzierte Analyse der Machtverhältnisse in den Mittel- und Unterklassen, die er vor allem bei dem Soziologen Max Weber entlehnt.

Was genau ist "Klasse" eigentlich?

Wright entwirft in seinem Aufsatz so ein differenziertes, theoretisches Klassen-Modell, das in der Soziologie große Anerkennung erfuhr und mit dem Forscherinnen und Forscher Gesellschaften sehr genau analysieren können.

Wrights Aufsatz ist aber auch für Nichtsoziologinnen mit großem Gewinn zu lesen, bringt er doch eine bereichernde Klarheit in die Frage, was "Klasse" nun denn eigentlich genau ist. Denn ob wir in der Mittel-, Unter- oder Oberklasse der Gesellschaft landen, hängt einerseits davon ab, ob wir Betriebsvermögen besitzen, andererseits davon, welche individuellen Chancen - etwa durch Bildung - wir hatten, um uns in der Klasse der Lohnabhängigen zu positionieren.

Auch die eigene Migrationsgeschichte oder das Geschlecht können Auswirkungen auf diese Positionierung haben. Klassenzugehörigkeiten ergeben sich nach Wright genau aus der Verbindung der "groben" ökonomischen Stellung in der Gesellschaft und den "feinen" individuellen Unterschieden.

Guter Ausgangspunkt für Auseinandersetzung mit dem Thema "Klasse"

Gerade in einer Gesellschaft, in der etwa die Ungleichheit sehr hoch ist – gerade einmal zwei Familien besitzen in Deutschland so viel Vermögen, wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung – braucht es sowohl mehr wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den empirischen Klassenverhältnissen, als auch einen breitere öffentliche Diskussion über Klasse.

"Warum Klasse zählt" bietet für beides einen guten Ausgangspunkt.

Matthias Ubl, rbbKultur