Berliner Philharmoniker und Andris Nelsons in der Waldbühne; © Stephan Rabold
Stephan Rabold
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Philharmonie Berlin - Andris Nelsons dirigiert die Berliner Philharmoniker

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Das Bruckner-Jahr zum 200. Geburtstag des Komponisten Anton Bruckner neigt sich langsam seinem Ende entgegen. Die Berliner Philharmoniker haben sämtliche Sinfonien Bruckners in ihrem Programm. In diesen Tagen ist es die monumentale achte Sinfonie. Am Pult steht der lettische Dirigent Andris Nelsons, der bei den Philharmonikern schon seit langem regelmäßig zu Gast ist.

Es ist ein einzigartiges Werk – die bis dahin längste Sinfonie der Musikgeschichte mit durchschnittlich 80 Minuten. Ein riesig besetztes Orchester – prominent vertreten die vier sogennanten "Wagner-Tuben", gespielt von Hornisten, mit sehr weichem Klang. Vor allem: das ist klingende Architektur, eine klingende gotische Kathedrale, wie meistens bei Bruckner, nur hier noch einmal besonders gigantisch und monumental.

Und das ist die Herausforderung: Man darf sich als Dirigent nicht zu sehr mitreißen lassen, muss fast ein bisschen kühl disponieren. Wer hier gleich beim ersten Höhepunkt maximale Lautstärke erzeugen lässt, hat schon verloren. Das braucht eine klare Dramaturgie, die bei Bruckner oft scheinbar unverbunden nebeneinanderstehenden Blöcke so aufeinander folgen zu lassen, dass ein Ganzes entsteht.

Zu früh zu viel

Andris Nelsons am Pult der Berliner Philharmoniker versucht, jeden Moment besonders intensiv und ausdrucksstark zu gestalten. Man sieht es, wenn er den Dirigentenstab von der rechten Hand in der linken gewissermaßen zwischenparkt, um die Hand für weiche Schlangenbewegungen frei zu haben.

Das führt zu hörenswerten Momenten, nur dauert es keine zwei Minuten, schon donnert das Fortissimo durch den Saal und lässt kaum noch Steigerungsmöglichkeiten zu. Im langsamen Satz besteht die Kunst darin, den Eindruck zu erwecken, dass die Zeit stehenbleibt, und trotzdem eine klangliche Lebendigkeit zu schaffen. Warum aber schleppt es sich so schwerfällig durch den Raum?

Vom Boden abgehoben

Die Berliner Philharmoniker waren sich an diesem Abend noch nicht ganz einig, das schien noch etwas im Findungsprozess zu sein. Nicht alles war zusammen, auch die Staffelung der einzelnen Instrumentengruppen war nicht immer geglückt. Die Streicher hatten einen guten Abend, haben einen weitem Raum geöffnet, aber auch hier brauchte es ein wenig Anlauf.

Wenn Bruckner im langsamen Satz denkbar raffiniert die Streicher stehende Harmonien spielen lässt, während die Harfen diese in bewegten Figuren ausführen, hatte es erst beim dritten Mal die Schwere abgeworfen, so dass es vom Boden abgehoben schien. Das war dann ein besonderer Moment.

Das gute Finale

Natürlich war es ausverkauft, natürlich gab es am Ende großen Jubel. Aber letzteres sicher auch, weil in der letzten Viertelstunde plötzlich wie durch ein Wunder alles stimmte. Der zu große Ballast war abgeworfen, das Orchester zeigte seine einzigartige klangliche Virtuosität. Was vorher nach Generalprobe klang, bekam exquisite Qualität. Das lässt auf den zweiten und dritten Abend hoffen, wenn die Aufführung wiederholt wird.

Eine Erkenntnis immerhin ist die Tatsache, dass selbst ein Spitzenorchester wie die Berliner Philharmoniker dieses Werk nicht geschenkt bekommt. Wie auch immer, ganz ist das Bruckner-Jahr noch nicht vorbei. In wenigen Tagen steht die unvollendete Neunte von Bruckner auf dem Programm der Philharmoniker, dirigiert von der 97-jährigen Legende Herbert Blomstedt …

Andreas Göbel, radio3