Elena Bashkirova; © Nikolaj Lund
Nikolaj Lund
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Philharmonie Berlin | Kammermusiksaal - Klavierabend mit Elena Bashkirova

Bewertung:

Elena Bashkirova ist in der Kulturszene vor allem als Gründerin und Leiterin des Jerusalem International Chamber Music Festival bekannt geworden. Daneben ist die Ehefrau von Daniel Barenboim aber insbesondere eine herausragende Pianistin. Gestern hat die Wahl-Berlinerin im Kammermusiksaal der Philharmonie einen Klavierabend gegeben. Auf dem Programm stand ein einziger Komponist: Wolfgang Amadeus Mozart.

Sie ist eine grandiose Erzählerin am Klavier. Man fühlt sich gewissermaßen gerade einmal einen Meter von ihr entfernt, so dicht und intensiv fühlt es sich an. Das hat eine unglaubliche Dringlichkeit, kein Klischee-Mozart à la freundlich, nett und eingängig – und falls doch einmal, dann ist das ein eher untergeordneter Aspekt.

Hier tritt uns ein Komponist entgegen, der alle emotionalen Bereiche auslotet, von größter Helligkeit bis zum finstersten Blick in die Hölle.

Ein ganzer Abend mit Mozart

Nur Mozart? Ja, das funktioniert, weil Elena Bashkirova eine sehr kluge Auswahl getroffen hat. Nach der eher düsteren d-Moll-Fantasie enthielt der erste Teil eher positiv gestimmte Werke, darunter die große B-Dur-Sonate KV 333, die im Finale eine Art Klavierkonzert ist, nur dass das Klavier auch den imaginären Orchesterpart übernimmt.

Im zweiten Teil mit c-Moll-Fantasie und c-Moll-Sonate waren das Werke, wo Mozart weit über seine Zeit hinaus Dimensionen erreicht, die allen, die das spielen, alles abverlangen an klassischer Gestaltungskunst. Das war nicht einen einzigen Moment langweilig.

Traumhafter Anschlag

Und das liegt an Elena Bashkirovas traumhaftem Anschlag. Selbst dort, wo es Wiederholungen gibt, sei es bei kleineren Motiven oder ganzen Formteilen, variiert sie, und das kann sie eben auch mit ihrem traumhaften Anschlag. Das ist mal von gesanglicher Dichte, dann wieder filigran leuchtend und funkelnd.

Sie ist eine Meisterin über tausende Farbtöne – und sie macht etwas, das bei Mozart eigentlich dazu gehört, das man aber eher von Spezialisten für historisch informierte Aufführungspraxis hört: Sie verändert Motive, indem sie sie verziert, Triller hinzufügt oder auch richtiggehend umformt. Das wirkt bei ihr jedoch nie berechnet, sondern spontan, fast ein wenig improvisiert, und so bekommt es eine Lebendigkeit, dass man geradezu gezwungen wird, nicht einen Moment wegzuhören.

Auf Leben und Tod

In den beiden großen c-Moll-Klavierwerken von Mozart schenkt Elena Bashkirova ihrem Publikum nichts. Stichwort: Unberechenbarkeit. In der c-Moll-Fantasie vor allem erfolgen die dynamischen Brüche so kompromisslos schroff, dass man zusammenzuckt und gewissermaßen Mozart in der Geisterbahn hört. Vor allem aber hat jeder Moment eine Präsenz, in inneres Feuer.

Selbst dort, wo es ein wenig aufgehellt ist, blendet die Helligkeit. Hier wird deutlich: Das ist längst keine Unterhaltung mehr, sondern hier geht es buchstäblich um Leben und Tod. Und es hat sich übertragen: Im Publikum gab es zahllose Momente absoluter Stille, da haben viele den Atem angehalten. So dicht, so tief ausgelotet hört man Mozart wirklich selten.

Falscher Hase

Eine Entdeckung war ein von Elena Bashkirova zusätzlich ins Programm genommenes Werk, das nicht im Programmheft stand: der letzte Satz aus Mozarts Klarinettenquintett, also die sechs Variationen (früher: KV Anh. 137). Gut zehn Jahre nach dem Tod des Komponisten ist diese Klavierfassung erstmalig im Druck erschienen, und mit großer Wahrscheinlichkeit hat sie nicht Mozart selbst hergestellt – die aktuelle Ausgabe des Köchel-Verzeichnisses erwähnt diese Bearbeitung schon gar nicht mehr.

Das ist also eine Art falscher Hase – aber Elena Bashkirova hat das mit einer köstlichen Spritzigkeit gespielt, auch so differenziert, dass man das Gefühl hatte, da sitzen mehrere Leute am Flügel. Beste Kammermusik, gespielt auf höchstem Niveau.

Spitzenrang

Keine Überraschung, dass es viel Beifall, Bravi und Jubel für Elena Bashkirova gab. Zwei Zugaben hatte sie für das Publikum: das erste "Stücklein" (Originaltitel) aus den "Bunten Blättern" von Robert Schumann und den "Koboldstanz" aus den "Poetischen Stimmungsbildern" von Antonín Dvořák.

Eigentlich beides Stücke aus der B-Kategorie von Klaviermusik. Aber mit welcher Wärme sie den Schumann, mit welchem Feuerwerk und Anschlagsraffinessen sie den Dvořák auf die Tasten zauberte – das hat auch hier noch einmal ihren Spitzenrang unter Beweis gestellt.

Andreas Göbel, radio3