Sachbuch zum 100. Todestag des Komponisten - Oliver Vogel: "Erik Satie. Der skeptische Klassiker"
Der französische Komponist Erik Satie gilt als Wegbereiter der Moderne. Bis heute bekannt mit seinen Gymnopédies und Gnossiennes, hat er zahlreiche Komponisten wie John Cage angeregt, seine Ausstrahlung reicht aber weit über die klassische Musik hinaus bis hin zum Jazz. Anlässlich seines 100. Todestages in diesem Jahr ist jetzt eine neue Gesamtdarstellung von Leben und Werk erschienen.
Erik Satie hat sich konsequent dem zeitgenössischen Musikbetrieb verweigert. Er hat Musik geschrieben, die überhaupt nichts Spätromantisches hat, sich vielmehr für die Musik des Mittelalters interessiert. Er hat die Hintergrundmusik, wenn vielleicht nicht erfunden, so doch neu gedacht, sich mit Chansons und Caféhausmusik über Wasser gehalten.
Und im Alter von etwa 40 Jahren hat er noch einmal angefangen, neu zu studieren. Es gibt eine Stummfilmmusik von ihm, absurde Vortragsanweisungen und Geschichten zu Klavierstücken. Kurz: Er hat sich irgendwie zwischen alle Stühle gesetzt.
Grundsatzlose Befragung
Man könnte Satie, von seinem Nachwirken her, als Revolutionär der Musik beschrieben, dies jedoch nicht im traditionell verstandenen Sinne. Der Autor Oliver Vogel zeichnet den Komponisten als einen Suchenden, auch Scheiternden: „Um als Komponist dem eigenen Unwissen mit präziser Methode abzuhelfen, verlegte Satie sich auf ein experimentelles Vorgehen, ein immer wieder erneutes, probierendes Ansetzen in grundloser Befragung.“
Das Buch ist grundsätzlich chronologisch aufgebaut, aufgeteilt in die drei Perioden von Saties Leben: die frühen Jahre mit den Gymnopédies und Gnossiennes, der Auseinandersetzung mit dem Mittelalter, den eigenwilligen Tonsystemen. Es folgen die eigentlichen Krisenjahre und Jahre des Neuanfangs. Und schließlich die späten Jahre, in denen der Komponist durchaus Anerkennung fand.
Abgründige Tiefe und aufgefrischter Witz
Oliver Vogel geht konsequent analytisch an die Beschreibung von Saties Musik heran, findet überzeugende Modelle, um Saties Arbeit mit vorgefertigten Bausteinen einzuordnen. Schöne Bezeichnung: Katalogmusik. Und was die kleinen skurrilen Geschichten betrifft, die Satie später zahlreichen seiner Klavierstücke unterlegen sollte, findet er einen treffenden Ansatz:
"Die allerorten angebrachten Zitate, Parallelerzählungen, Titel, Zwischentitel und Spielanweisungen verdichten sich zuweilen ganz wie die Musik zu abgründiger Tiefe, und doch sind sie keine Handreichung zum musikalischen Verständnis. Als paralleles Geschehen erfüllen sie eine Funktion wie außen angebrachte Griffe, an denen der Amateur sich festhalten und mit aufgefrischtem Witz bei der Sache bleiben kann."
Ein neues Standardwerk
Das ist mit rund siebenhundert Seiten eine umfangreiche Arbeit, sie enthält aber keine Seite zu viel. Oliver Vogel verlangt hingegen die Bereitschaft, sich in etwas hineinzudenken, das oberflächlich betrachtet skurril, witzig oder absurd wirkt, aber doch einer immer wieder neuen Logik folgt. Saties Versuche, sein Denken und seine Musik funktionieren auf mehreren Ebenen, haben keinen doppelten, sondern vielmehr einen drei- oder vierfachen Boden.
Dieses Buch hat das Zeug dazu, ein neues Standardwerk in Sachen Satie zu werden. Der Autor behält immer im Blick, was bisher über Satie veröffentlicht worden ist, findet aber einen neuen, klareren und vor allem umfassenderen, zusammenhängenderen und vertiefenderen Ansatz. Er nimmt Satie ernst und lässt verstehen, wie dieser aus seiner Zeit und quer zu seiner Zeit ein Neuerer wider Willen werden konnte.
Andreas Göbel, radio3