Komische Oper Berlin - "Robinson Crusoé" von Jacques Offenbach
Ein wenig Weltflucht zum Ende des Jahres: Jacques Offenbachs Oper "Robinson Crusoé" von 1867, nach dem Roman von Daniel Dafoe, hatte gestern an der Komischen Oper Berlin Premiere. Das verspricht doch Abenteuer: Meeressinfonien, Koloraturen wahnwitziger Piraten und wie klingen Inselbewohner:innen mit kannibalistischen Neigungen ...
Nebenwerke wie "Robinson Crusoé" sind in der Offenbach-Strecke der Komischen Oper, jedes Jahr kurz vor Weihnachten, sehr gut untergebracht. Das Werk ist orchestral üppig (und wird von Adrien Perruchon sehr gut dirigiert). Am Besten sind die Chöre, wofür man ein groß ausgestattetes Haus braucht. Als Festtagslockerung und Eingrooven in die letzte Jahresrunde ist Offenbach gleichfalls gut geeignet.
Eine recht fadenscheinige Literatur-Veroperung
Dass das Werk vergessen war, versteht man aber auch. Ziemlich melodienlahm (wie manchmal bei schwächerem Offenbach), bleibt der Versuch einer Literatur-Veroperung recht fadenscheinig. Mit dem Roman von Daniel Defoe kann sich diese Comique nicht messen – und will es nicht. Sie saugt nur ein bisschen dran, wird aber nicht satt davon.
Der Held in Defoes frühem Meisterwerk des Romans von 1719 bleibt 28 Jahre auf der Insel – Stoff genug für eine Menschheitsgeschichte. Der Held bei Offenbach ist dem Kochtopf der Kannibalen kaum wieder entstiegen, als ihm die Geliebte aus Bristol schon gefolgt ist – samt Buffo-Paar. Fertig ist ein Wiedersehen mit Happy-End. Stoff eher für einen Einakter. Die Uraufführung 1867 dauerte über vier Stunden - in Berlin nur 90 Minuten. Wir können daraus schließen, dass damals was Eigenes daraus wurde. Und in Berlin nur ein Abglanz davon zu sehen ist.
Andreja Schneider: Eine Conchita Wurst der Offenbachiade
Andreja Schneider als Erzählerin bräuchte es eigentlich nicht. Dennoch repräsentiert sie das maskenbildnerische Schau- und Wunderstück des Abends. Sie verkörpert Offenbachs verschollene Schwester Jacqueline Offenbach. Sieht aber – mit Backenbart, Stirnglatze und Kneifer – haargenau aus wie Offenbach selber. Schon öfters hat sich Andreja Schneider – auch wenn sie innerhalb des Trios der Geschwister Pfister agierte – als führende Crossdresserin der Szene bewährt: eine Conchita Wurst der Offenbachiade. Sie gibt Zunder, was der etwas schmalhansige Abend – trotz sehr guter Sänger wie Agustín Gómez, Miriam Kutrowatz und Sarah Defrise – gut braucht.
Anspielungen auf den Berliner Sparkurs
Gelacht wird vor allem über Anspielungen auf den Berliner Sparkurs, welcher hier scherzhaft für die halbszenische Form verantwortlich gemacht wird. Was erstens nicht stimmt (die Vorweihnachtsoperetten waren immer konzertant). Und zweitens den Eindruck erweckt: "Ach, wir werden schon klarkommen mit dem Kahlschlag." Ich finde nicht, dass man über derlei lachen sollte, nicht mal zu Silvester. Gesungen wird auf Deutsch – in der Neuübersetzung von Jean Abel. Das ist richtig so. Man ahnt, wieso die Uraufführung 2 ½ Mal länger war. Weil nämlich irrwitzig viel extemporiert und Aktualitäten in den Text eingemixt wurden.
Vor Silvester mag man sich das gefallen lassen
Genau in solchen Mixturen von Hochmögendem und Trivialem bestand der Erfolg von Offenbachs zeitkritischen Operetten. Die Musik durfte deshalb schwächer sein. Genau deswegen füllt diese Wiederausgrabung die Lücke auch nur halb. Sie tut so, als ob es ein Bühnenwerk heutigen Zuschnitts wäre (mit Musik im Zentrum), während es sich in Wirklichkeit um eine Mischung aus Schauspiel und Operette handelte. Vor Silvester mag sich das gefallen lassen. Ich muss aber zugeben: So schön und lustig wie früher die Kálmán- oder Paul Ábraham-Strecken sind diese Offenbachiaden nicht ganz.
Kai Luehrs-Kaiser, radio3