Staatsoper: Die Ausflüge des Herrn Brouček © Marek Olbrzymek
Marek Olbrzymek
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Staatsoper Unter den Linden - "Die Ausflüge des Herrn Brouček" von Leoš Janáček

Bewertung:

Opern von Leoš Janáček sind auf den großen Opernbühnen gerne gesehen und gehört. Es gibt allerdings eine Ausnahme: Janáčeks "Die Ausflüge des Herrn Brouček" ist nur selten zu erleben. Von daher konnte man durchaus von einer Rarität sprechen, die jetzt an der Berliner Staatsoper Unter den Linden ihre Premiere gefeiert hat – prominent besetzt mit dem Regisseur Robert Carsen sowie Sir Simon Rattle am Pult der Staatskapelle.

Janáčeks "Brouček" hat es schwer, jedenfalls außerhalb Tschechiens. Vom Komponisten erwartet man eher große tragische menschliche Schicksale à la Jenůfa oder Katja Kabanowa und weniger eine grelle Satire. Dazu kommt der unglaubliche Aufwand, gewissermaßen zwei Kurzopern in einer zu spielen.

Die Hauptpartien sind mörderisch, und wenigstens im zweiten Teil sollte man sich in tschechischer Geschichte einigermaßen auskennen, um viele Anspielungen verstehen zu können.

Vom Mond ins Mittelalter

Die Titelfigur ist ein Spießbürger. Der Vermieter Brouček will, außer dass er sich mit dem Eintreiben von Miete herumärgert, eigentlich nur seine Ruhe haben und im Wirtshaus Würstchen essen und Bier trinken. Ziemlich angesäuselt träumt er sich schließlich auf den Mond, muss aber erfahren, dass man sich dort eindeutig vegan von Blumenduft ernährt.

Im zweiten Teil findet er sich im Prag des 15. Jahrhunderts wieder zur Zeit der Hussitenkriege. Brouček drückt sich vor dem Kämpfen, brüstet sich dann aber mit angeblichen Heldentaten. Im Wirtshaus aufgewacht, prahlt er weiter, bittet aber den Wirt, nichts davon weiterzuerzählen.

Zwischen Moonstock und Eishockey

Der Regisseur Robert Carsen verlegt die Handlung in die Zeit um 1968/69. Da sieht man zunächst Bilder der Raumfahrtmission Apollo 11 in historischen Videos, auf der Bühne wird einer der beiden Bierbraukessel zur Mondrakete. Dort angekommen ist Flower Power ausgebrochen, und in Woodstock, das hier "Moonstock" heißt, wuseln die Mondbewohner als grellbunte Hippies über die Bühne.

Staatsoper: Die Ausflüge des Herrn Brouček © Marek Olbrzymek
Bild: Marek Olbrzymek

Nach der Pause siedelt Carsen das Geschehen beim Prager Frühling an, wieder mit historischen Filmaufnahmen. Man sieht den Studenten, der sich aus Protest gegen die Niederschlagung selbst verbrannt hat, und es gibt Bilder vom Eishockey, dann auch eine ganze Mannschaft auf der Bühne. Dazu muss man wissen, dass die Mannschaft der Tschechoslowakei die der Sowjetunion 1969 zweimal besiegt hat. Das alles und noch viel mehr ergibt einen bunten Bilderbogen mit vielen Bezügen und ein unterhaltsames Durcheinander.

Gute Ensembleleistung

Das Ensemble kann sich hören lassen. Der britische Tenor Peter Hoare in der Titelpartie ist voller Spielwut, kann kaum mal stillsitzen oder stillstehen und kommt mühelos souverän und textverständlich durch seine brutal schwere Partie. Ebenso der tschechische Tenor Aleš Briscein, ein stimmliches Kraftpaket, wie auch die britische Sopranistin Lucy Crowe, letztere in der Höhe eine Spur angestrengt wirkend.

Es ist eine Freude, allen beim Spielen zuzusehen, stimmlich dominierte dann doch eine ziemliche Lautstärke. Das ist bei dieser Farce nicht immer falsch, trotzdem wäre gerade bei Janáčeks penibel ausgehorchten Sprachmelodien mehr Feinzeichnung möglich gewesen. Phantastisch der Chor in verrücktesten Kostümen und immer auf den Punkt. Die Stärke hier war insgesamt die Ensembleleistung.

Janáček-Experte

Sir Simon Rattle hat mit dieser Premiere an der Staatsoper immerhin dort bereits seine fünfte Janáček-Oper dirigiert, diese jedoch zum ersten Mal. Und ihm, dem Experten für dieses Repertoire gelingt die Feinzeichnung, die man ansonsten vermisst hat. Dynamisch immer hinter den Sängerinnen und Sängern, ist das Orchester trotzdem ein gleichberechtigter Partner.

Rattle versteht Janáček ganz aus dem Melodischen, schafft bei aller Schärfe aber immer auch Ruhepunkte, die man braucht und die dafür sorgen, dass die Figuren bei aller Überzeichnung auch etwas Menschliches bekommen, was bei Janáček immer ein zentraler Punkt ist. In Sachen Janáček ist Simon Rattle derzeit führend.

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Bild: Marek Olbrzymek

Kurzweilig und unterhaltend

Man darf nicht erwarten, an diesem Abend eine große Deutung oder gar eine Politparabel geboten zu bekommen. Natürlich werden hier Themen verhandelt, die auch aktuell im Raum stehen. Etwa wie sehr jeder Einzelne bereit wäre, für Freiheit auch selbst zu kämpfen. Da fällt der Satz "Ihr habt eine Armee, was braucht ihr Zivilisten" – Stichwort: Debatte um die Wehrpflicht.

Und am Schluss gibt es eine bitterböse Pointe, die an dieser Stelle nicht verraten werden soll. Aber letztlich überwiegt das Unterhaltende, und das ist auch absolut in Ordnung, zumal man hier kurzweilige gut zweieinhalb Stunden bekommen, die man wirklich genießen kann.

Andreas Göbel, radio3