Piotr Anderszewski, Pianist © ASSOCIATED PRESS/Ryoichiro Kida / picture alliance/dpa
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Pierre Boulez Saal - Klavierabend mit Piotr Anderszewski

Bewertung:

Der polnische Pianist Piotr Anderszewski ist nicht nur ein herausragender Musiker, sondern auch immer ein Garant für klug zusammengestellt Programme. Für seinen aktuellen Klavierabend im Pierre Boulez Saal Berlin hat er Bagatellen von Beethoven, Bartók und anderen zusammengestellt, die aber alles andere als Leichtgewichte sind.

Piotr Anderszewski gehört zu den eher stillen Stars – kein Pianist, der jeden Monat auf einer anderen Klassikplattform gut vermarktet vorne steht und eine neue Story hat. Entsprechend nicht ausverkauft war der Pierre Boulez Saal – zu anspruchsvoll und wenig populär vielleicht auch das Programm für viele? Aber er tut es und kann es sich leisten – und er tut gut daran.

Krachende Virtuosität gibt es von ihm an diesem Abend nicht, erfreulicherweise. Es sind eher kürzere Stücke und Sätze, auf die man sich einlassen muss. Vieles sehr still, manches emotional auch die Extreme suchend. Da brauchte auch das Publikum etwas Zeit zum Warmwerden. War es bis zur Pause noch etwas unterkühlt, gab es am Ende verdienten kräftigen Applaus und Jubel.

Bach zum Aufmerken

Mit Johann Sebastian Bach kennt man Piotr Anderszewski schon lange in Aufnahmen und Konzerten. Das war immer sehr kultiviert, nur mitunter auch ein wenig eintönig und steril. Diesmal das genaue Gegenteil: aufregend und intensiv, Anderszewski hat Bach als Ausdruckskomponisten verstanden, der strukturell immer durchdacht, aber eben auch ein Meister der tiefsten Emotionen ist.

Dieser Bach, in diesem Fall die B-Dur-Partita, ist von ihm vor allem melodisch gedacht, Anderszewski scheint am Klavier mit seinem wundervollen Anschlag zu singen (manchmal singt und brummt er tatsächlich unüberhörbar mit). Die Sarabande von heiligem Ernst, sanft leuchtend – die abschließende Gigue dann draufgängerisch, fast unverschämt, in welchem Katz-und-Maus-Spiel sich die Diskant- und Bass-Stimme abwechseln. Eine erfrischende Dusche, und ein Spaß, aber eben auf höchstem Niveau.

Experimentierfeld Bagatelle

Für Ludwig van Beethoven waren die Bagatellen Experimentierfelder. Gerade die späten dieser Stücke gehören zu seinen radikalsten Werken. Es sind Momentaufnahmen zwischen Einfachheit und heftigsten Ausbrüchen. Am besten sind Piotr Anderszewski die ruhigen, schlichten Momente gelungen, Tröstliches mit butterweichem Anschlag, während die Eruptionen ein bisschen zu hektisch geraten, da wird viel verschluckt – wer die Stücke nicht kennt, hat Mühe, die Strukturen zu verstehen.

In den vierzehn Bagatellen des jungen Béla Bartók ist bei Piotr Anderszewski alles auf dem Punkt vorhanden. Schlag auf Schlag erscheint jeder neue Aphorismus als Charakter, mal weichgezeichnet, dann wieder als grelle Karikatur. Da ist der Provokateur Bartók, der mit seinen harten Dissonanzen sein Publikum schickt – ein tiefer Basston wird von Anderszewski sogar mit Handkantenschlag absolviert. Dann aber auch das genaue Gegenteil: ein Stück mit dem Titel "Sie ist tot" voller Ernst und tiefer Trauer, in erdrückenden Grautönen gezeichnet, eine Meisterleistung des Pianisten.

Held der Zwischentöne

Viele seiner späten Klavierstücke hat Johannes Brahms "Intermezzo" genannt. Allerdings sind sie weit mehr als nur Zwischenspiele. Die meisten entfalten einen Reichtum, der sich erst beim wiederholten Hören vermittelt – vieles davon extrem grüblerisch und abgründig. Piotr Anderszewski erweist sich gerade hier als großer Gestalter, gewissermaßen als Held der Zwischentöne.

Das ist das A-Dur-Intermezzo, ein auskomponierter Sonnenuntergang mit allen erdenklichen Farbtönen, nicht grell, sondern eben gedeckt, teilweise wirkt es wie weit entfernt, der Pianist spielt das bezaubernd exquisit. Gegenstück ist das Intermezzo in es-Moll, wo aus fahlen Dissonanzen ein orchestraler Höhepunkt hervorbricht. Da setzt Anderszewski zu Beginn vorsichtig die Finger auf die Tasten, als wenn er Mikado spielen würde, und im nächsten Moment bringt er den Flügel orchestral zum Explodieren. Das hat man lange nicht mehr so ergreifend gehört.

Ein Pianist auf der Höhe seines Könnens

Da ließ sich Piotr Anderszewski, vom abschließenden Jubel des Publikums eingeladen und überzeugt, nicht lange bitten: einmal Bartók, einmal Bach. Dann aber musste er überlegen – auf mehr schien er nicht eingestellt zu sein. Und er brach gleich zweimal seine goldene Regel, nur Zugaben von Komponisten zu spielen, die auch im Hauptteil auf dem Programm standen.

Und so gab es noch zwei Mazurken von Chopin und Karol Szymanowski, gelöst und glücklich gespielt. Das alles zusammengenommen war es ein großer Abend. Ein Pianist, der sich auf unglaubliche Weise weiterentwickelt hat – auf dem Höhepunkt seines Könnens.

Spitzenmusiker

Als Pierre-Laurent Aimard vor sieben Jahren den Ernst von Siemens Musikpreis erhalten hat, hat das niemanden überrascht. Es war angemessen und verdient. Warum, das hat er auch diesmal wieder unter Beweis gestellt. So gut hat man Schönberg und Ives lange nicht mehr gehört. Schade, wer das versäumt hat.

Andreas Göbel, radio3