Roman - Anna Brüggemann: "Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen"
Die Schauspielerin und Drehbuchautorin Anna Brüggemann veröffentlicht ihren zweiten Roman. "Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen" erzählt von Müttern und Töchtern.
Eine Rezension von Nadine Kreuzahler
Die Beziehung zur eigenen Mutter ist eine der prägendsten im Leben, wenn nicht sogar DIE prägendste. Sie ist aber vor allem für Töchter oft auch voller Konflikte, Komplexe und Kummer. Schon Oscar Wilde stellte fest:
"Alle Frauen werden wie ihre Mütter, das ist ihre Tragödie. Kein Mann wird wie seine Mutter, das ist seine Tragödie."
Antonia und Wanda wären gerne wie ihre Mutter und das ist in der Tat ein Teil ihrer Tragödie. Denn die Mutter Regina, 51 Jahre alt, Psychotherapeutin mit eigener Praxis, ist eine dominante, leicht narzisstische Person. Die Töchter wiederum bewundern die Stärke ihrer Mutter, besonders Wanda, die jüngere, möchte so sein wie Regina:
"Es gab Menschen, wie ihre Mutter, die speicherten Energie und wandelten sie in etwas Gutes, Nutzbares um. Sie ließen andere, die nicht von selber leuchteten, an ihrer Wärme, ihren Ideen, ihrer Lebensenergie teilhaben. Und dann gab es Menschen wie ihren Vater und Antonia, die auf die Energie der anderen angewiesen waren. Nur woher nahm Regina ihre Kraft?"
Ständige Suche nach Anerkennung
Die Dynamik zwischen Mutter und Töchtern ist von Konkurrenz, Perfektionsstreben, einer ständigen Bewertung und der Suche nach Anerkennung geprägt. Dabei scheint die Mutter-Liebe ungleich verteilt. Während Regina voller Bewunderung für Wanda ist und in dieser eine Art jüngeres Ich von sich selbst zu erkennen glaubt, spürt sie keinerlei Verbindung zu ihrer Älteren, Antonia, und schaut herablassend und auch etwas ratlos auf sie:
"Antonia hatte eine helle Haut, fast weiß. Sie war schlank, aber weich. (...) Antonia würde perfekt in ein Gemälde der Nazarener passen, dachte Regina. Die alabasterfarbene Haut, das kleine Kinn, der weiche Mund. Leider lebten sie aber nicht im Jahr 1850, sondern 1998, und Antonias Sanftmut und Passivität hatten etwas aufreizend Veraltetes."
Die Tragik dabei ist, dass Regina keine ihrer Töchter wirklich sehen kann. Der Blick auf ihre Nachkommen ist verstellt von eigenen unerfüllten Träumen. Zwar konnte Regina, ein Nachkriegskind Jahrgang 1948, schon studieren und eine eigene Praxis eröffnen, aber die ersehnte Akademikerinnenkarriere stellte sie für die Familie zurück. Sie ist zerfressen von Neid auf andere erfolgreichere Frauen ihres Jahrgangs. All ihren Ehrgeiz überträgt sie nun auf ihre Töchter ohne zu fragen was diese eigentlich wollen.
Das Scheitern ist vorprogrammiert
Gnadenlos ist auch Reginas Blick als Frau auf andere Frauenkörper: Gerne bezeichnet sie diese im Schwimmbad schon mal als "Schlachtross". Das geht nicht spurlos an ihren Töchtern vorüber. Beide versuchen auf ihre Weise es dieser alles kontrollierenden und kommentierenden Frau recht zu machen. Sie können dabei nur scheitern. Wanda rutscht in die Ess-Sucht ab, Antonia bricht zum Entsetzen ihrer Mutter ihr Studium ab und wird ungewollt schwanger. Als alleinerziehende Mutter findet sie aber, besser als Wanda, schließlich ihren eigenen Weg.
Immer gleich bleibende Spannungskurve
Über zwanzig Jahre begleitet der Roman das Leben der drei Frauen. Immer im Wechsel lässt Anna Brüggemann ihre drei Protagonistinnen erzählen und baut dabei Zeitsprünge von mehreren Jahren ein. Erste Liebe, Freundschaften, Geburten und Tode, Umzüge und Neuanfänge - es passiert viel . Man folgt den drei Frauen durch selbstzerstörerische Gedanken und Wendepunkte im Leben, aber die erzählerische Spannungskurve bleibt dabei erstaunlich gleich ohne besondere Ausschläge. Das immergleiche Tempo des Textes ist schon bald ermüdend.
Sprachlich blass
Die zwischenmenschlichen Beziehungen der Figuren untereinander sind psychologisch nachvollziehbar. Allerdings wird dem Lesepublikum ganz schön viel erklärt und benannt anstatt gezeigt. Außerdem sind die Konfliktlinien schnell entfaltet. Warum Wanda eine Esssucht entwickelt, warum Antonia lange keinerlei Vorstellungskraft für ihr eigenes Leben entwickeln kann, warum Regina so ehrgeizig ist in Bezug auf ihre Töchter. Sprachlich bleibt der Text allzu oft blass mit ein paar schiefen Begriffen im Gepäck: Was "sportlich blaue Augen" sein sollen, weiß wohl nur die Autorin. Andererseits bietet der Roman ganz viele Aknüpfungspunkte mit viel Wiedererkennungswert beim Lesen. Neben Mütter-Töchter-Spannungen auch noch Themen wie Feminismus, Elternschaft, Freundschaft und Bodyshaming.
Nadine Kreuzahler, radio3