Michel Foucault: Der Diskurs der Philosophie © Suhrkamp
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Bisher unveröffentlichter Text zum 40. Todestag - Michel Foucault: "Der Diskurs der Philosophie"

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Michel Foucault war ein faszinierender Denker und ein stilsicherer Dandy. Wie ein Komet erschien er 1966 mit seinem Buch über "Die Ordnung der Dinge" am Himmel der französischen Philosophie und legte sich mit allen an, die bis dahin den Ton angaben: Ob Sartre oder Lévi-Strauss, Lacan oder Derrida, ob Existenzialisten, Marxisten oder Strukturalisten - sie alle standen fortan im Schatten des eigenwilligen Intellektuellen, der seine Homosexualität nur versteckt ausleben mochte und 1984 mit gerade einmal 57 Jahren an AIDS starb. Zu seinem 40. Todestag erscheint nun die deutsche Übersetzung eines bislang unbekannten und unveröffentlichten Textes: "Der Diskurs der Philosophie".

Michel Foucault war ein streitbarer und quer zu allen Denkrichtungen liegender Philosoph, der sich mit einer geheimnisvollen Aura umgab, Zeitschriften mit begründete und unendlich viel publiziert hat, auch Beiträge und Bücher, die kaum verstanden wurden, aber bei Pariser Intellektuellen ungemein angesagt waren. Sein Nachlass ist gut sortiert und im Archiv der französischen Nationalbibliothek (unter der Signatur NAF 28730) in mehren Kartons deponiert.

Eine Brücke zwischen zwei großen Werken

Lange Zeit dachte man, die handschriftlichen Texte, die jetzt als "Diskurs der Philosophie" erkannt und veröffentlicht wurden, seien nur Notizen zu seinen Vorlesungen, die er zwischen 1967 und 1969 an der Universität von Tunis gehalten hat. Denn von Paris nach Tunis war Foucault aufgebrochen, nachdem er 1966 mit "Die Ordnung der Dinge" eine ziemliche Unordnung in die französische Philosophie gebracht und das philosophische Denken um Begriffe und Kategorien der Psychologie und der Linguistik erweitert hatte. Jetzt erst will man erkannt haben, dass die vermeintlichen Vorlesungsnotizen, die man in Karton 58 fand, eine erste Fassung für einen Essay oder ein Buch sein sollen und einen neuen Blick auf das Gesamtswerk von Foucault werfen.

Zweifel sind angebracht. Es ist wohl eher so, dass man zum 40. Todestag die Debatte um Foucault wieder anheizen und eine kleine Sensation präsentieren wollte. In Frankreich ist man in den intellektuellen Zirkeln ganz aus dem Häuschen. Man darf es aber auch etwas gelassener betrachten und sagen: die zum Teil etwas wirren und redundanten Notizen bauen eine Brücke zwischen "Die Ordnung der Dinge" (1966) und Foucaults nächstem großen Ding, seinem Buch über die "Archäologie des Wissens" (1969).

Philsophie als "Arzt der Kultur"

Die zentrale These im "Diskurs der Philosophie" ist auch nicht wirklich neu, Foucault schärft sie nur und macht sie zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen: Zurückgreifend auf Friedrich Nietzsche besteht er darauf, dass es die Aufgabe der modernen Philosophie sei, die Probleme der Gegenwart zu diagnostizieren: "Der Philosoph muss ganz einfach sagen, was ist."

An einigen Zeichen solle er "erkennen, was vor sich geht. Das Ereignis ausfindig machen, das in dem Gemurmel rumort, das wir nicht mehr hören, da wir uns so daran gewöhnt haben. Sagen, was in dem, was man jeden Tag sieht, zu sehen ist."

Die Philosophie wird bei Foucault zu einem "diagnostischen Diskurs" über Fragen des Sinns und Seins, über die Übel und Geheimnisse von Vergangenheit und Gegenwart, die es zu enthüllen und zu benennen gilt. Die Philosophie soll die Gefahr der Täuschung bannen und die Wahrheit wiederherstellen, uns wachrütteln, "den Finger in die unheilbare Wunde" legen, daran erinnern, was wir vergessen haben, ein "Arzt der Kultur" sein. Aber sie hat "nicht die Aufgabe" zu heilen:

"Der Philosoph hat seine Pflicht erfüllt, wenn es ihm gelingt, das einzuholen, was heute ist, um es für den Augenblick im Netz seiner Worte aufblitzen zu lassen."

Ein folgenloses Selbstgespräch

Leider bleiben das nur schöne Worte und kesse Thesen, die dem politisch aufgeladenen Zeitgeist geschuldet sind. Wir befinden uns am Vorabend der 68er-Rebellion und des revolutionären Pariser Mai. Da braut sich politisch was zusammen, das spürt auch Foucault, der sich für die Geschichte der Ideen und die Auswüchse kommunikativen Handels interessiert. Also bringt seine Philosophie in Stellung und munitioniert sie mit Anweisungen zur gesellschaftskritischen Diagnose: Statt dann aber wirklich den Finger in die soziale Wunde der gesellschaftlichen Ungerechtigkeit zu legen, uns daran zu erinnern, welche Utopien von Freiheit auf der Strecke geblieben sind, denkt er darüber nach, was den philosophischen vom Alltagsdiskurs unterscheidet, wie Sprechakte funktionieren, wie das Ich im Hier und Jetzt auf die jeweilige Situation und die "Archive" des Gesagten reagieren und die "Archäologie" des Wissens nutzen kann kann.

Er macht deutlich, dass jede Epoche durch unterirdische Konfigurationen charakterisiert ist, die ihre Kultur erst hervortreten lässt; er lotet Tiefenschichten aus, die definieren, was eine Epoche denken oder nicht denken kann; er entwirft eine Sprachtheorie, die Ort, Zeit und Raum des kommunikativen Aktes einbezieht.

Alles wichtig und richtig: Aber wer gehofft hatte, Foucault würde sein theoretische Gerüst mit praktischen Erkenntnissen füttern und eine aktuelle Diagnose der gesellschaftlichen Probleme und politischen Lügen liefern, geht leer aus. Der ambitionierte "Diskurs der Philosophie" ist nur ein folgenloses Selbstgespräch, eine theoretische Luftnummer ohne praktischen Wert, philosophische Appetithäppchen ohne richtige Sättigungsbeilage.

Wer sich mit Foucault vertraut machen möchte, sollte Didier Eribon lesen

Wer sich heute mit Foucault und seiner Philosophie vertraut machen will, sollte seine Schriften erst einmal beiseite legen: Man kann seine philosophischen Tiefbohrungen und ideengeschichtlichen Eskapaden sowieso nur verstehen, wenn man mit Kants Kritik der reinen Vernunft, Hegels Phänomenologie des Geistes und Nietzsches Götterdämmerung einigermaßen vertraut ist. Sinnvoller ist ist, mit der Foucault-Biografie von Didier Eribon anzufangen (Suhrkamp Taschenbuch, 518 S., 18 Euro). Eribon war Schüler und Vertrauter von Foucault, manche kennen ihn als Autor von "Rückkehr nach Reims" und "Eine Arbeiterin". Bücher, in denen er auf der Folie seiner eigenen proletarischen Vergangenheit das Leben seiner Eltern rekonstruiert und den Weg der ehemals linken Arbeiterklasse zum Front National beschreibt, also sozialwissenschaftliche Theorie mit philosophischer Lebenspraxis verbindet und genau das macht, was Foucault nur theoretisch fordert, aber nicht selbst praktisch einlöst. Eribon kennt Foucaults Werk aus dem Effeff, zeigt dem Leser begehbare Wege durch den labyrinthischen Dschungel, macht Foucault verständlich und die Philosophie zum intellektuellen Abenteuer.

Bei Eribon findet sich übrigens kein einziges Wort zum "Diskurs der Philosophie": Vielleicht sind ihm die Notizen in Archiv-Karton 58 entgangen oder er hat sie als nebensächlich und zu vernachlässigen eingestuft. Dem könnte man sich glatt anschließen.

Frank Dietschreit, radio3

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