Roman - Pajtim Statovci: "Meine Katze Jugoslawien"
Eine Katze, die singt und spricht und eine Würgeschlange, die kuschelt. In Pajtim Statovcis Roman "Meine Katze Jugoslawien" tropft das Fabelhafte und Fantastische ganz selbstverständlich in die reale Welt, die geprägt ist von Flucht, Gewalt und Identitätssuche. Die Geschichte aus Finnland ist für den Internationalen Literaturpreis nominiert.
Katzen kommen tatsächlich vor, sie schleichen, wandern, und fressen sich durch diesen Roman und eine singt sogar "Believe" von Cher.
Ich lernte die Katze in einer Bar kennen. (…) Sie hatte einen dramatischen und endzeitlichen Ausdruck im Gesicht wie ein Opernsänger, der sich dem höchsten Ton nähert: Die Augen waren zugekniffen, der Mund stand offen wie beim Niesen, und die Knie wippten mit dem Refrain von Believe. Eine Pfote lag auf dem Herzen, und die andere reckte sich nach vorn, wie um nach der Hand des verlorenen Geliebten zu greifen.
Die Katze zieht bei Bekim ein, einem Studenten in Helsinki, der sich sonst in Dating-Apps mit fremden Männern zum Sex verabredet. Er und die Katze beginnen eine Affäre, es beginnt das, was man eine toxische Beziehung nennt, denn die Katze hat Spaß daran, Bekim zu erniedrigen, sie ist nicht nur dominant und manipulativ, sondern entpuppt sich auch als homophob und fremdenfeindlich.
Das Fantastische ist selbstverständlich
Pajtim Statovci spielt mit Elementen der Fabel und des Surrealen. Er lässt das Fantastische und Traumhafte wie selbstverständlich in die reale Welt einsickern und spart dabei nicht an Symbolik. Als kleinen Jungen plagen Bekim, damals frisch mit seinen Eltern aus dem Kosovo nach Finnland eingewandert, schlimme Albträume. Schlangen quälen ihn darin, aber auch Katzen gehören zu seinen Angsttieren. Als Erwachsener lässt sich Bekim nicht nur mit einer Katze ein, er schafft sich außerdem ausgerechnet eine Boa Constrictor, eine Würgeschlange, als Haustier an. Statt sie im Terrarium zu halten, erlaubt er ihr, sich frei in der Wohnung zu bewegen. Das Reptil wird vom Schrecken zum Trost für den jungen Mann, der unter Einsamkeit leidet:
Und nach und nach glitt sie neben mich, ganz ohne sich zu wehren oder zu zucken, lag sie schließlich wie eine Schutzmauer oder wie ein Strahlenkranz um mich, und sie war kühl und rau, und ihre Haut gab unter meinem Griff nach wie eine reife Avocado. "Ich weiß überhaupt nicht", sagte ich wenig später und streichelte die Haut der Schlange, "was ich tun soll". Ich wollte ihr mitteilen, dass ich einsam war. (…) Ich wollte ihr erzählen, dass die Einsamkeit so brutal war, dass es mir manchmal so vorkam, als wüsste niemand von meiner Existenz.
Später wird Bekim auf einer Reise zu seinen Wurzeln im Kosovo eine Straßenkatze zulaufen, eine stinknormale diesmal, und er wird eine Giftschlange bezwingen und sie seinen Verwandten vor die Füße werfen.
Unübersehbar stehen diese Tiere für Bekims Ängste und Traumata, mit denen er sich nach und nach beginnt auseinanderzusetzen. Zum anderen stehen sie auch für die Hassliebe zum Herkunftsland, zum brutalen Vater und zu sich selbst.
Zwei Perspektiven, zwei Erzählstränge
Pajtim Statovci schneidet in seiner Geschichte über Flucht und Einwanderung, Fremdsein und Entfremdung, Einsamkeit und der Suche nach Liebe zwei Leben und Perspektiven gegeneinander. Zum einen Bekims, dessen Kindheit von Gewalt und der Autorität seines Vaters geprägt ist, den er hasst. Zur Mutter hat er keinen Kontakt mehr.
Die Mutter, sie heißt Emine, ist die zweite Hauptfigur des Romans. Ihre Geschichte bildet den zweiten Erzählstrang, der zurückgeht in die 80er Jahre in ein Bergdorf in der Nähe von Pristina. Hier träumt sich Emine als Teenager anhand der Hochglanzzeitschriften im Kiosk ihres Cousins in andere, durchdesignte, amerikanische Welten und stellt sich eine Zukunft als Sängerin oder Schauspielerin vor. Für den ersten Teil von Emines Geschichte wählt Statovci einen märchenhaften Ton, während er in den folgenden Teilen konventioneller und realistischer erzählt. Schon am Tag der Hochzeit entpuppt sich Emines vermeintlicher Märchenprinz, mit dem sie im Alter von 17 Jahren ohne Mitspracherecht verheiratet wird, als brutaler Macho, der sie schlägt und erniedrigt. Sie bekommen fünf Kinder, ihr jüngster Sohn ist Bekim. Gemeinsam ist Mutter und Sohn die Angst vor dem Vater bzw. Ehemann und ein Putzzwang.
Identität auf wackligem Grund
Der Roman bewegt sich mit der Mutter durch die 90er Jahre, in denen der sich zuspitzende politische Konflikt zwischen Serben und Albanern im Kosovo die Familie in die Emigration treibt. Vater, Mutter und Kinder versuchen in Finnland Fuß zu fassen mit der festen Absicht in die Heimat zurückzukehren. Aber dann bricht der Krieg aus auf dem Balkan. Die Fernsehbilder, die Sorge um Verwandte, die wachsende Zahl Geflüchteter und die damit auch zunehmenden fremdenfeindlichen Übergriffe prägen die Jahre der Erwachsenen und Kinder auf unterschiedliche Weise.
Es kommt zur Entfremdung zwischen Eltern und Kindern, zum Gefühl des Fremdseins im neuen Land und der immer größer werdenden Distanz zur alten Heimat. Die eigene Identität steht auf wackligem Grund. Die Eltern verlieren ihre so sicher geglaubte Verwurzelung und vorgegebenen Lebenswege. Bekim, der Sohn, hat Schwierigkeiten damit, überhaupt zu einer Identität zu gelangen. Dabei geht es bei weitem nicht nur um Herkunft und Heimat, sondern auch um sexuelle Begierden, um die Liebe, und um den Versuch, sich aus autoritären, gewaltvollen Strukturen zu lösen.
Späte deutsche Übersetzung
Pajtim Statovci dürfte in Deutschland bisher nicht vielen bekannt sein, aber vielleicht haben einige bereits seinen Roman "Grenzgänge" gelesen, der 2021 in der deutschen Übersetzung von Stefan Moster erschien. Ein Roman, der sich ebenfalls mit den Themen sexueller Identität, Flucht und Migration beschäftigt. Interessanterweise ist "Meine Katze Jugoslawien" aber der Roman, den der 1990 im Kosovo geborene und im Alter von zwei Jahren mit seinen Eltern nach Finnland eingewanderte Autor zuerst geschrieben hat. Sein Debüt wurde schon 2014 in Finnland veröffentlicht, ins Englische übersetzt und mit einigen, auch internationalen Preisen ausgezeichnet. In Deutschland kann man "Meine Katze Jugoslawien" nun endlich, zehn Jahre später, auch entdecken.
Frisch und überzeugend
Es wurde selten so frisch von Einwanderung, Flucht und Identitätssuche erzählt. Gerade die Vermischung von Realismus, Fabel, Traumwelt und an manchen Stellen fast comicartigem Erzählen - im Sinne von: es wird etwas erzählt und behauptet ohne zu erklären und dann geht es einfach woanders weiter - diese Mischung bei gleichzeitiger knallharter Realität von Krieg, Migration und großer Einsamkeit überzeugen. Die große Stärke ist, dass dieser Roman Zugang zur Gefühlswelt und inneren Zerrissenheit von Menschen ermöglicht, deren Identität bis zur Unkenntlichkeit durchgeschüttelt wurde und deren Realitäten flexibel und unsicher sind. Dieses Gefühl macht der Roman auch durch seine Erzählform nachvollziehbar.
Nadine Kreuzahler, radio3