Zimtstern © Thomas Platt
Thomas Platt
Zimtstern von "Herr Koch und Frau Bäckerin" | Bild: Thomas Platt

Handgefertigt aus Berliner Manufakturen - Weihnachtliches Traditionskonfekt: Zimtsterne

Vielleicht mögen wir ihn gar nicht richtig, obwohl wir ihn loben und preisen: den Zimtstern. Weihnachten kommt schließlich heran und das gezackte Traditionskonfekt gehört zu seinen Symbolen. Aber ist er geschmacklich wirklich überzeugend? Versetzt der Verzehr dieses auf ein einziges Gewürz konzentrierten Gebäcks einen tatsächlich in jene freudige Seelenlage, die Hochgenuss genannt wird? Korrumpiert womöglich eine Art von Pietät die Wahrnehmung?

Instinktiv glaubt man ja, eine Spezerei ehren zu müssen, die unsere Ahnen geliebt und unter schwierigen Bedingungen hergestellt haben. Dennoch: Eine plötzliche geschmackliche Erleuchtung bemächtigt sich unserer beim Zimtstern in den seltensten Fällen.

Der gewöhnliche Zimtstern: Eine muffige Masse aus dem Durchlaufofen

Wenn wir in einen dieser zuckrigen Sterne in der Gestalt von Kleinkindspielzeug beißen, dann bekommen wir es zumeist mit einer zähen bis trockenen, von Eiweiß verkleisterten Masse zu tun, in der sich Mandeln oder andere Nüsse gerade noch ausmachen lassen. Übertrumpft werden sie von Zucker und Zimt. Letzterer erinnert zuweilen sogar an den "Wrigley‘s Big Red"-Kaugummi, häufiger ist etwas Bitteres, auch leicht Scharfes zu spüren, ein wenig auch Harziges und Medizinales. In jedem Fall handelt es sich um einen Extrakt der Innenrinde eines immergrünen tropischen Baums, in vielen Fällen um die preiswerte Zimtsorte Cassia. Sogar ganz frisch wirkt sie stets ein wenig zu gut abgelagert, um nicht zu sagen: muffig.

Der Zimtsternteig erinnert an die Konsistenz von Makronen, Mandelhörnchen und Elisenlebkuchen, entfernt sogar an Macarons. Im Unterschied zu den meisten anderen Backwaren der Saison wird bei seiner Herstellung auf Mehl weitgehend verzichtet. Ein Anteil von zehn Prozent wäre erlaubt.

Die Rezeptur des Zimtsternes kommt der Massenfertigung entgegen. Aromastoffe, Fructose- und Glukosesirup, sowie diverse Feuchthaltemittel lassen sich unauffällig in einer Masse unterbringen, die mehr getrocknet als gebacken werden muss. Maschinell ausgestochen und ebenso akkurat mit Puderzucker bezogen, stammt der Industrie-Zimtstern überwiegend aus dem sogenannten Durchlaufofen. Dort wird ihm endgültig ausgetrieben, was ihn unnachahmlich machen könnte: ein persönlicher Ausdruck. Wehmütig erinnert man sich an Omas weiße Sterne.

Berliner Spitzensterne

Wer von der Sorgfalt und Schludrigkeit anderer abhängig geworden ist, weil niemand in Familie und Freundeskreis noch backt, muss nicht verzweifeln: In unserer Stadt sind Zimtsterne zu bekommen, die zum besten des Genres zählen. Selbstverständlich handgefertigte.

Die Interpretationen von "Weichardt-Brot" und "Guido Fuhrmann" sind bereits äußerlich Antipoden. Die wirken auf den ersten Blick wie Karikaturen von Öko-Konfekt, die anderen scheinen der Pâtisserie eines Gourmet-Restaurants entlaufen. Der krümelige Stern von "Weichardt" verzichtet auf Puderzucker-Schnee und wirkt durch sein Beharren auf Honig fast schon mittelalterlich. Interessant ist, wie die Zuckererwartung auf Würze und Struktur umgelenkt wird.

Zimtsterne © Thomas PlattZimtsterne von Guido Fuhrmann

Guido Fuhrmann kennt keine Umwege: Ein hoher Mandelgehalt wird von Madagaskar-Vanille und Tonkabohne sowie Ceylon-Zimt unterfüttert und von einer kräftigen Zitrusnote eingerahmt. Der Stern von "Herr Koch & Frau Bäckerin" misst im Durchmesser zehn Zentimeter. Der ungewohnten Dimension entspricht seine Vitalität. Tessa Jacobsens Werk erinnert daran, wie stark die Freude am Zimtstern auf seiner Konsistenz beruht. Der Bissfreunde schmeichelt er mit Baiser-Crunch und einer mürb-feuchten Textur. Nuss, Orange, Zimt sowie je eine Spur Rum und Salz wechseln sich während des Kauens ab.

"Gil Avnon" formt seine Himmelskörper zu schmalen Stangen. Sie sind fest und herb zugleich. Vorsichtige Süße und etwas schärfere Würze teilen dem klassischen Aroma eine gewisse Extravaganz mit. Bei den Sternen vom "Süßen Leben" stehen beste Mandeln an erster Stelle – übrigens samt Häutchen, was das Aroma erdet und die sogenannte Kauigkeit fördert.

Obacht!

Die Berliner Spitzensterne scheinen ein höheres Wirklichkeitsgewicht zu besitzen. Also Obacht! Wer fröhlich zugreift, fühlt sich schnell wie ein ungehorsamer Patient, der wieder einmal gegen die Diät verstoßen hat.

Thomas Platt, radio3

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