Staatsoper unter den Linden: Melancholie des Widerstands © William Minke
William Minke
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Staatsoper Unter den Linden - Marc-André Dalbavie: "Melancholie des Widerstands"

Bewertung:

Als letzte Premiere dieser Spielzeit hat die Staatsoper Unter den Linden Berlin eine Uraufführung präsentiert: "Melancholie des Widerstands" nach dem Roman von László Krasznahorkai, komponiert von Marc-André Dalbavie. David Marton, der sich mit dem Stoff nicht das erste Mal auseinandersetzt, hatte die Regie, und Marie Jacquot hat ihr Debüt am Haus gegeben.

Worum geht in der Vorlage von Krasznahorkai? Das ist gar nicht so leicht einzufangen – es spielt in einer Kleinstadt, und irgendetwas stimmt da nicht. Es herrscht eine apokalyptische Stimmung, aber woran macht man das fest? Es passieren surreale Dinge, und dann taucht auch noch eine Schausteller-Truppe auf, die gewissermaßen jüngstes Gericht spielt.

Nur ein ehemaliger Musikschuldirektor stemmt sich gegen dieses Treiben. Er macht sich Gedanken über die wahre Stimmung in der abendländischen Musik – die seiner Meinung komplett falsch ist. Aber wie könnte sie funktionieren? Woran sich Theoretiker über Jahrhunderte die Zähne ausgebissen haben, warum uns die Akustik immer leicht scheitern lässt – auch er wird kein zufriedenstellendes Ergebnis finden.

Eine filmische Oper

Das Ganze ist als filmische Oper angelegt, und Regisseur David Marton, der auch am Libretto mitgearbeitet hat, platziert auf der Bühne nur einen großen Konzertflügel, an dem der Musikdirektor stimmt und stimmt und ihn immer mehr ver-stimmt.

Zentral ist jedoch eine Großbildleinwand, denn gefühlt neunzig Prozent der Aufführung spielen auf dieser Leinwand. Wir sitzen gewissermaßen im Kino. David Marton hat das als liebevolle Ausstattungsszenerie inszeniert. Da sind wir in einem Eisenbahnwaggon, wo Karten gespielt wird und die Landschaft vorbeizieht, wir sind in der herrlich versifften Wohnung der Hauptdarstellerin – köstlich, wie angeranzt das ausgestattet ist. Das macht Spaß beim Zusehen.

Making of und (Selbst-)Zitate

Der Höhepunkt des Abends ist kurz vor Schluss der Blick aus der Vogelperspektive auf das ganze Set, wo man die eingerichteten Räume sieht. Eine liebevolle und augenzwinkernde Hommage an Katie Mitchell, bei deren Arbeiten man auch immer vorgeführt bekommt, wie das erzeugt wird, was dann auf der Leinwand zu sehen ist. Und wenn der Abend nur eine Stunde gedauert hätte (und nicht zweieinviertel), wäre es diesbezüglich ein voller Erfolg gewesen.

Nur verliert sich das alles, Szene für Szene wird abgespult, man gibt auf, irgendetwas noch verstehen zu wollen. David Marton hat sich hier nicht das erste Mal mit diesem Stoff auseinandergesetzt. Vor zwölf Jahren hat er an der Schaubühne schon einmal einen Abend mit der Vorlage gestaltet, damals unter dem Titel „Das wohltemperierte Klavier“. Das damals war auf sehr hohem Niveau an seiner Komplexität gescheitert. Diese Inszenierung scheitert an der Selbstverliebtheit der filmischen Bilder, die ins Nichts gehen.

Szene aus "Melancholie des Widerstands" an der Staatsoper
Bild: William Minke/Staatsoper Berlin

Kompositorischer Offenbarungseid

Die musikalische Stimmung – was hätte das für eine herrliche Vorlage für eine musikalische Umsetzung sein können. Marc-André Dalbavie hat eine Musik komponiert, die einfach nur dahinplätschert. Ein paar Geräusche werden übertragen, sängerisch wird deklamiert, aber über weite Strecken dominiert ein überparfümierter Kitsch.

Ja, sicher hört man, wie der Flügel immer verstimmter wird – aber das wird musikalisch eher beiseite gewischt. Und das ist nun wirklich ein erschreckender Offenbarungseid, und man will es nicht glauben, wie ein opernerfahrener Komponist über weite Strecken Handwerk ohne Inspiration und Ideen abliefert. Diese seine fünfte Oper sollte Dalbavie aus seinem Werkverzeichnis streichen.

Darstellerisch gut

Darstellerisch ist die sängerische Besetzung grandios. Sandrine Piau hat sichtlich Spaß an der ironischen, verhuschten, aasigen Darstellung ihrer Hauptfigur. Tanja Ariane Baumgartner hat am Ende vom Komponisten sogar eine ziemlich zentrale Arie komponiert bekommen, da hätte man gerne, wie sie es kraftvoll und intensiv gestaltet, zugehört. Aber die durch das Filmsetting nötige Verstärkung lässt keine Differenzierung zu, es ertrinkt im Dauerforte.

Tragisch ist Philippe Jaroussky, darstellerisch ein Genuss, aber stimmlich bestätigt sich der Eindruck, den man schon seit einiger Zeit von ihm hat, dass er den Zenit seiner Stimme überschritten hat. Über das hohe Register schweigt man besser.

Staatsoper unter den Linden: Melancholie des Widerstands © William Minke
Bild: William Minke

Trauriges Debüt

Was soll Marie Jacquot am Pult der Staatskapelle da noch machen?! Vor einem guten Jahr hatte sie triumphal an der Komischen Oper mit „Hamlet“ von Ambroise Thomas debütiert, hier hätte man ihr das Gleiche gewünscht, und sie hat alles getan, das durchsichtig, klar und verständlich zu dirigieren. Aber was sollte sie auch versuchen – eine so dermaßen schlechte Oper kann auch sie nicht besser machen.

Da ist es traurig um die unglaubliche Arbeit, die in diese Produktion gesteckt wurde. Die paar originellen Momente können die Langeweile und die erbärmliche musikalische Qualität der Komposition nicht ausgleichen. Ein aufgedonnertes Nichts. Schade.

Andreas Göbel, radio3

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