Heckentheater Rheinsberg: "Iphigenie in Aulis" © Uwe Hauth
Uwe Hauth
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Oper von Christoph Willibald Gluck - Heckentheater Rheinsberg: "Iphigenie in Aulis"

Bewertung:

König Agamemnon will mit dem griechischen Heer in den Krieg nach Troja ziehen. Doch seine Flotte steckt in Aulis fest. Denn die von Agamemnon beleidigte Göttin Diana hat sich mit lähmenden Windstille gerächt. Weiterfahrt wird ihm nur gewährt, wenn er bereit ist, seine Tochter Iphigenie zu opfern ... Das scheinbar ausweglose Drama der griechischen Mythologie ist vielfach variiert und bearbeitet worden. Mit Glucks "Iphigenie in Aulis", 1774 in Paris uraufgeführt, eröffnet jetzt Georg Quander, Regisseur und künstlerischer Leiter der Kammeroper Rheinsberg, die Open-Air-Saison im Rheinsberger Heckentheater.

Alle reden vom Wetter: Bei den Griechen herrschte in Aulis wochenlang totale Flaute, durch Brandenburg und Berlin fegte am Premierenabend dagegen ein heftiges Unwetter und sorgte für pitschnasse Hindernisse und künstlerische Beeinträchtigungen. Die Zuschauer mussten Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen, die Künstler Widrigkeiten erdulden.

Wettergötter (fast) ohne Erbarmen

Zum Vorstellungsbeginn hatten die Wettergötter sich erbarmt und den Starkregen vorläufig eingestellt. Aber es tropfte von den Bäumen, die Wege im Park waren schwer passierbare Pfützen, die sattgrüne Wiese mit den zu Speis und Trank einladenden Catering-Zelten eine matschige Sumpflandschaft. Vor der Bühne dümpelte eine große Wasserlache, und um den Sänger:innen einen sicheren Stand zu ermöglichen, schwangen tapfere Helfer den Feudel. Weil der nächste Schauer sich schon ankündigte, pünktlich zur Pause Petrus wieder die Schleusen öffnete und das Areal in einen schauerlichen Wassertümpel verwandelte, wurden schnell noch Regenponchos ans Publikum verteilt.

Kann man alles machen. Muss man aber nicht. Am Ende waren alle froh, dass es ohne größere Unfälle vonstatten ging. Eigentlich entzieht sich die Aufführung einer ernsthaften kritischen Würdigung. Versuchen können wir es trotzdem.

Weder passabler Klang noch mediterranes Ambiente

Die Instrumente wurden vom Orchester in Sicherheit und ins Trockene gebracht: Sie musizierten im nahe gelegenen Schloss einsam vor sich hin und wurden per Lautsprecher zugeschaltet, gaben sich alle Mühe, Glucks filigrane Partitur historisch stimmig und klanglich versiert auszudeuten, aber was da aus den Lautsprechern kam, hörte sich doch recht blechern und breiig an. Wer linksseitig saß, hörte nur, was aus den linken Boxen ertönte, was von rechts kam, verwehte ungehört in den nassen Hecken: Ein passabler Klang in Symbiose mit den Sänger:innen, die, wie Gluck es wollte, von allen affektierten Koloraturen und überladenen Handlungen befreit sind und ihre Gefühle möglichst natürlich und einfach ausdrücken, wollte sich nicht so recht einstellen.

Natürlich verdient das Wagnis, ohne Sichtkontakt an zwei Orten gleichzeitig zu singen und zu musizierten, höchste Anerkennung. Aber dem ohnehin kränkelnden Geschehen auf einer Bühne, die mit in den düsteren Himmel ragenden Masten und schlaffen Segeltüchern ein mediterranes Ambiente andeuten sollte, hat es nicht wirklich auf die Beine geholfen.

Heckentheater Rheinsberg: "Iphigenie in Aulis" © Uwe Hauth
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Gelassene Sängerinnen und Sänger - trotz widriger Umstände

Die Sängerinnen und Sänger reagieren auf die widrigen Umstände erstaunlich gelassen, bei einigen hat man das Gefühl, sie singen sich richtig frei. Vor allem auf Maximilian Vogler, der jeden Ton und jede Silbe zu einem feurigen Klangerlebnis formt. Er ist ein aufbrausender Achill und ein liebestoller Schwärmer, der bereit ist, für das Leben seiner Verlobte, Iphigenie, alles zu wagen, sich mit Agamemnon zu prügeln, die Götter zu erzürnen.

Marta Fridriksdottir ist eine sich um Kopf und Kragen singende Iphigenie, die ihren eigenen Tod in den allerschönsten Tönen einfärbt und zwar Achill herzzerreißend liebt, aber bereit ist, sich für die Ehre des Vaters und die Zukunft des Lands zu opfern.

Marianna Herzig, kurzfristig für eine erkrankte Kollegin eingesprungen, ist eine anbetungswürdige Göttin Diana; Dashuai Jiao brilliert als unnachgiebiger Oberpriester; Vivica Genaux irrlichtert als furienhafte Klytämnestra durchs Notengestrüpp; Dietrich Henschel setzt sich als ein von Liebe, Pflicht und Frucht zermürbter Agamemnon einen stimmlichen Lorbeerkranz auf.

Aber alles, was die Gesangsriege herrlich hinausposaunt, bleibt bloße Behauptung, findet kaum je im Spiel eine glaubwürdige Verkörperung. Oft stehen die Figuren herum und warten auf ihren nächsten Einsatz: Rasender Stillstand, Bühnentiefschlaf, aus dem auch der Chor nur selten erwacht. Nirgendwo eine zupackende Regie, die das musikalische Drama in widerborstige Spielhandlung übersetzt. Zum Glück hat irgendwann Göttin Diana die Faxen dicke, verzeiht den opferbereiten Streithammeln und schickt sie hinaus in den Trojanischen Krieg.

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Eine ziemlich zähe und nasse Opern-Angelegenheit

Dann hat Quander eine Idee und kommentiert das alte musikalische Drama mit einem neuen Schlussakkord: Das Ballet, das vorher im neckischen französischen Opern-Zeit-Geist von anno dunnemals agierte und das tragische Treiben mit fröhlichen Tänzen und unfreiwillig komischen Pirouetten begleitete, wird plötzlich, gemeinsam mit dem Chor zur aggressiven Kriegsmaschine: Sie wüten und töten und werfen einen Blick in die Zukunft: Achill wird an der Ferse getroffen und von Lanzen aufgeschlitzt, Agamemnon von seiner Gattin erschlagen, ein Krieg folgt auf den anderen.

Hat dieser mörderische Wahnsinn denn nie ein Ende?, fragt die Inszenierung. Ein dringliches, aufrüttelndes Schlussbild, das einen fast versöhnen könnte mit einer zwar stimmlich überraschenden, insgesamt aber ziemlich zähen und nassen Opern-Angelegenheit.

Frank Dietschreit, radio3