Saison der "wahren Paradiesfrucht" - Endlich Erdbeerzeit!
Eine feste und dennoch zarte Konsistenz, ein betörend-fruchtiger Duft, ein intensiver Geschmack mit Karamell-, Gras- und Holznoten, in dem Süße und Säure im Gleichgewicht stehen - dies alles macht die perfekte Erdbeere aus. Meist erst gegen Ende der Saison erreichen regionale Erdbeeren den idealen Geschmack. Wer bislang die Finger von Import-Erdbeeren gelassen hat, kommt jetzt auf seine Kosten: mit Früchten, die nicht nur wie Erdbeeren aussehen, sondern auch so schmecken. Ihr intensives Aroma kommt sowohl bei süßen Klassikern als auch bei Salaten und herzhaften Gerichten zur Geltung.
Beim sinnlichen Genuss einer prallen, reifen Erdbeere vergessen wir beinahe, dass Erdbeeren zwar süß, aber dennoch äußerst gesund sind. Als Wildfrucht wurden sie bereits in der Steinzeit gesammelt, bei den alten Römern galten sie sogar als Medikament: Ovid, Plinius und Vergil schwärmten von ihr in den höchsten Tönen. Im Mittelalter wurden Früchte und Blätter zur Herstellung von Tee, Tinkturen und Salben verwendet und der schwedische Naturforscher Linneus, der im 18. Jahrhundert lebte, nannte sie "die Wohltat der Götter", weil er damit seine Gicht auskuriert hatte.
Junge Frauen, die blutarm waren, bekamen im Viktorianischen England ein Kilo Erdbeeren am Tag vom Arzt verschrieben und eine adlige Dame im Frankreich der Restauration, Madame Tallien, pflegte, Erdbeersaft in ihre Badewanne zu geben, um ihre Haut sanft und geschmeidig zu halten: Für ein Vollbad waren ungefähr 11 Kilo Erdbeeren nötig. Wahrscheinlich war Peeling der erwünschte Effekt, da Erdbeersäure auch heute als Hausmittel verwendet wird, um Zähne zu bleichen - mit großem Schaden für den Zahnschmelz. Die in Erdbeeren enthaltene Salicylsäure ist allerdings nicht so hoch dosiert, dass sie bei Kopfschmerzen wie Aspirin helfen würde.
Die wahre Paradiesfrucht
Erdbeeren enthalten einen Mix aller Mineralien und Vitamine, wie nicht mal Multivitamintabletten anbieten können: Sie sind Vitamin C-haltiger als Orangen und Zitronen und enthalten außerem Antioxidanten und Folate. Erdbeeren wirken jedenfalls stimmungserhellend - und es überrascht nicht, dass sie schon seit Urzeiten als Inbegriff der Sinnlichkeit gelten. In Hieronymus Boschs Triptychon "Der Garten der Lüste" symbolisieren die Erdbeeren die Paradiesfrucht, die die Menschen genießen dürfen, ohne zu sündigen. Ganz anders bei Francois Villon, der fast zeitgleich lebte, im 15. Jahrhundert, und in einer Ballade, später von Paul Zech umgedichtet, nach dem Erdbeermund seiner Angebeteten verlangte. Es handelte sich damals noch um Walderdbeeren, die ja geschmacklich besonders intensiv sind und in königlichen Gärten auch zu dekorativen Zwecken eingepflanzt wurden.
Mieze und Mara
Zur heutigen Gartenerdbeere ist es erst ab dem 16./17. Jahrhundert gekommen, durch Kreuzungen mit Sorten aus Amerika, die viel größer waren. Die über 1.000 Erdbeerarten, die heute existieren, stammen alle aus der Fragaria Ananassa, die 1750 in Amsterdam gezüchtet wurde. Es werden aber sehr wenige Sorten professionell angebaut, weil die Kombination aus Geschmack, Aussehen, Haltbarkeit, Transportfähigkeit und Ertrag nicht bei allen Sorten zur Kommerzialisierung taugt. Das Aroma steht also nicht unbedingt im Vordergrund. Vollaromatische Erdbeersorten wie Mieze Schindler, Wädenswil 6, Mara de Bois oder Polka sind kommerziell nicht relevant, weil sie zu weich sind und daher nicht lagerfähig, außerdem ist ihr Ertrag zu gering. Sie kommen daher nur für den Selbstanbau in Frage - und wenn man es schafft, auch nur ein paar von den eher kleinen Früchten vor den Schnecken zu retten, hat man ein Geschmackserlebnis, das an Walderdbeeren herankommt.
Süß oder herzhaft
Bei Gartenerdbeeren kann das Walderdbeeraroma simuliert werden, indem man frische Minze und etwas Kastanienhonig oder Balsamico hinzugibt. Ob mit optimal gereiften Erdbeeren oder mit welchen mit aufgebesserten Aroma lassen sich unendlich viele Gerichte zubereiten - von bunten Saisonsalaten mit gegrilltem Ziegentaler über Erdbeerrisotto und Tomaten-Erdbeergazpacho bis zum englischen Dessertklassiker "Eton Mess". Wichtig ist, die Erdbeeren reif zu kaufen und sofort zu essen oder höchstens bis zu drei Tagen im Kühlschrank aufzubewahren, denn die Früchte reifen nicht nach: Sind sie beim Kauf unreif, werden sie nicht mehr nachreifen, wenn man sie liegen lässt: sie werden nur schlecht.
Elisabetta Gaddoni, radio3