Komödie - "The Holdovers"
In Filmen wie "About Schmidt", "Sideways" oder "Nebraska" hat der amerikanisch-griechische Regisseur Alexander Payne immer wieder die Geschichten von einsamen, missmutig grantelnden Männern in den mittleren und späteren Jahren erzählt, voller Melancholie, Zärtlichkeit und mit viel Humor – Das gilt nun auch für seinen neuesten Film "The Holdovers".
Nachdem er Filme mit großen Stars wie Jack Nicholson, George Clooney und Matt Damon gedreht hat, arbeitet er jetzt zum zweiten Mal mit Paul Giamatti zusammen, den er in "Sideways“ auf eine sinnlich erotische Weinreise geschickt hat.
Retro-Siebziger in den Wäldern von Masachusetts
"It’s the most wonderful time of the year”, singen die Temptations, doch von der wunderbarsten Zeit des Jahres spüren die eher traurigen Helden dieses Films erst mal wenig. Da wäre zunächst der Geschichtslehrer Paul Hunnam, der die schlechten Noten mit einem gewissen Sarkasmus fröhlich pfeifend auf die Schreibtische seiner Schüler knallt. Es sind die letzten Tage vor den Weihnachtsferien, in einem elitären Internat, das in den Retro-Siebzigerjahren in die verschneiten Waldlandschaften von Massachusetts eingebettet ist. Schüler, Lehrer und Personal der Barton Academy haben zwei Wochen Winterferienpause, nur ein paar wenige Unglückliche, die nicht wissen wohin über die Feiertage, bleiben zurück, sie sind die titelgebenden Holdovers.
Ein Lehrer, ein Schüler, eine Köchin im weitläufigen Schulgebäude
Die unglücklichen Holdovers, die in diesem Jahrgang im weitläufigen Schulgebäude zurückbleiben: Der missmutige Geschichtslehrer Paul Hunnam, von dem man ahnt, dass zuhause niemand auf ihn wartet. Die schwarzafrikanische Köchin Mary (Da‘Vine Joy Randolph), der es ganz recht ist, an diesem ersten Weihnachten ohne ihren in Vietnam gefallenen Sohn nicht zuhause sein zu müssen. Und der fünfzehnjährige Angus Tully (Dominic Sessa), dessen Mutter lieber mit ihrem neuen Freund feiern will. "Glauben Sie, dass ich sie gern babysitte?“, entrüstet sich Paul: "Nein, ich hab‘ gebetet, dass Ihre Mutter ans Telefon geht. Oder dass Ihr Vater kommt, mit einem Hubschrauber oder einer fliegenden Untertasse…“, und handelt sich einen Rüffel von der Big Mama Mary ein: "Sie sagen doch keinem Jungen, der über Weihnachten alleingelassen wird, dass niemand ihn haben will! Was stimmt nicht mit Ihnen?“
Von grantigem Missmut zu warmherzigem Verständnis
Gespielt wird Mr. Hunnam von Paul Giamatti, dem Alexander Payne die Rolle des einsamen Lehrers mit spärlich grauem Haarwuchs, buschigem Schnauzer und unvorteilhaftem Körpergeruch auf den Leib geschrieben hat, weil er seit ihrer ersten Zusammenarbeit bei "Sideways“ unbedingt noch mal mit ihm arbeiten wollte. Denn der Schauspieler bringt alles mit, was ein typischer Alexander Payne-Held braucht: Auf den ersten Blick missmutig und unsympathisch, einsam und kläglich, gelingt es ihm, die Sympathien der Zuschauer mit entwaffnender Wahrhaftigkeit und feinem Humor nach und nach auf sich zu ziehen. "Ich finde die Welt nur bitter und kompliziert“, stellt er fest, "und offenbar geht es der Welt ebenso mit mir.“
Schmerzliche, aber auch heilsame Wahrheiten
Alexander Payne nimmt sich viel Zeit, für den langsamen Weg aus der trostlosen Einsamkeit dieser Menschen, für die Art wie sich die Gefühlstemperaturen zwischen ihnen erwärmen, wie sie sich gegenseitig ein paar schmerzliche, aber auch heilsame Wahrheiten an den Kopf werfen und darüber ganz langsam und wahrhaftig, und vor allem ohne Kitsch und mit viel guter Musik zur Ersatzfamilie zusammenwachsen. Davor kommt es allerdings noch zu einigen Konfrontationen. Doch beim Ausflug ins Museum kann Paul dann doch noch die Funken seiner Geschichtsbegeisterung überspringen lassen: "Geschichte ist nicht einfach nur das Studium der Vergangenheit, es ist die Erklärung der Gegenwart“, sagt er und spätestens beim Anblick der nackten Liebenden auf einer griechischen Amphore ist sein Interesse geweckt: "Sehen Sie, wenn Sie es so vermitteln, gewürzt mit Pornografie, ist es viel leichter zu verstehen.“
Das Potential zum Weihnachtsklassiker
Natürlich hätte der Film mit seinem Setting gut in die Weihnachtszeit gepasst, zumal er wirklich das Zeug zum Klassiker hat. Doch mit der lebensechten Wahrhaftigkeit, Zärtlichkeit und Wärme, mit der Alexander Payne auf all diese fehlerhaften Menschen, ihre Sorgen und Nöte schaut, egal wie unmöglich sie sich benehmen, erzählt der Film zugleich eine ganz und gar universelle Geschichte.
Anke Sterneborg, rbbKultur