Staatstheater Cottbus: Kleider machen Leute © Bernd Schöneberger
Bernd Schöneberger
Bild: Bernd Schöneberger Download (mp3, 12 MB)

Staatstheater Cottbus - "Kleider machen Leute" von Alexander Zemlinksy

Bewertung:

Fünf Jahre lang hat Stephan Märki als Intendant und Regisseur am Staatstheater Cottbus erfolgreiche Arbeit geleistet und dem Haus auch wieder überregionalen Glanz verliehen. Jetzt verabschiedet er sich mit der Inszenierung der Oper "Kleider machen Leute", die Alexander von Zemlinsky 1910 erstmals in Wien auf die Bühne brachte und in der Folgezeit mehrfach neu gestaltete. Aus den Archiven hat Märki die lange verschollen geglaubte "Mannheimer Fassung" (1913) des musikalischen Lustspiels emporgezogen, das von Schein und Sein und der Macht der Liebe handelt, die über Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit, Missgunst und Hass in einer kleinbürgerlichen Welt siegt.

Der heute ziemlich in Vergessenheit geratene Komponist Alexander Zemlinksy hat ein wahrlich umfangreiches und aufregendes Werk geschaffen: Oper, Kammermusik, Werke für Orchester und Chor, Klavierstücke. In den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war er ein allseits gefragter Musiker und Kapellmeister, hat an der Wiener Hofoper und der Deutschen Oper in Prag gewirkt, Otto Klemperer holte ihn 1927 an die Berliner Kroll-Oper. Doch als die Nazis die Macht ergriffen, wurde er als Jude zum Verfemten und Verfolgten und floh 1938 ins amerikanische Exil, konnte dort aber nie Fuß fassen, verfiel in tiefe Depressionen und starb 1942 in einer Kleinstadt in der Nähe von New York.

Staatstheater Cottbus: Kleider machen Leute © Bernd Schöneberger
Bild: Bernd Schöneberger

Nach dem Krieg, als die Avantgarde den Ton angab, wurde er als "spätromantisch" abgetan, und manche Versuche, wenigstens seine Opern zu rehabilitieren, waren nicht nachhaltig. Zemlinsky macht es einem auch nicht leicht: Er ist musikalisch eine singuläre Erscheinung, sein Stil entzieht sich der klaren Kategorisierung, seine Notengebung und Melodieführung schlingert zwischen Klassik und Moderne, bezieht sich auf Brahms und Wagner genauso wie auf Mahler und Schönberg, die er immer wieder ironisch gebrochen herbei zitiert und musikalisch verfremdet. Alles ziemlich komplex und nicht gerade leicht verdaulich.

Melodien zwischen romantischer Gefühligkeit und fast atonaler Verwirrung

Die Melodien kippen oft urplötzlich von romantischer Gefühligkeit in fast atonale Verwirrung. Das "Schneiderlied", das die Identitätsmisere von Wenzel Strapinski, der im schönsten Zwirn von Seldwyla hinaus in die Welt zieht, in Goldach für einen polnischen Grafen gehalten und umgarnt wird, bevor man ihn als vermeintlichen Hochstapler entlarvt und als Außenseiter in die Schneewüste verbannt, - dieses "Schneiderlied" klingt schon im Prolog an, wird seriell als Leitmotiv immer wieder aufgegriffen und ständig variiert.

Mehr Schein als Sein

Die zarten, leisen Liebesschwüre von Schneidergeselle Wenzel und Amtsrat-Tochter Nettchen und die humorvollen Gesänge der kleinbürgerlichen Spießergesellschaft werden oft von garstiger Lautstärke aus dem Orchestergraben verdrängt: aus romantischer Verklährung wird rabaukenhafter Spott, das Schöne wird hässlich, die Welt ist mehr Schein als Sein und liebt den Betrug und den Selbstbetrug.

Märki präsentiert ein zeitliches Ungefähr und aktuelles Überall

Stephan Märki platziert diese kleinbürgerlich-verlogene Welt in ein zeitliches Ungefähr und aktuelles Überall: Das Outfit hat er sich aus den 1950er und 1960er Jahren geborgt, die Herren stecken in mausgrauen Anzügen, tragen Nylonhemden; die Damen schützen ihre zarten Hände mit weißen Handschuhen und haben mit Allwetterspray ihre Haare zu Kunstwerken aufgetürmt oder sie tragen - wie das selbstbewusste Nettchen - ein lässiges Hängekleid, lassen ihre schulterlangen Haare im Wind flattern und und sehen aus wie einst die junge Françoise Hardy, die von Freiheit, Emanzipation und Liebe sang.

Staatstheater Cottbus: Kleider machen Leute © Bernd Schöneberger
Bild: Bernd Schöneberger

Die Welt des Schneidergesellen besteht aus abstrakten, weißen Kritzeleien auf schwarzen Wänden und aus roten, kubistisch ineinander verschachtelten Figuren und Bildern: Wenn Wenzel hinaus in die Welt zieht, galoppieren Pferde als weiße Projektionen über den schwarzen Hintergrund, pflügen Dampfer durch das Meer, düsen Flugzeuge über den Himmel, blicken wir von der Raumstation ISS hinunter auf die Erde, die so schön und so verletzlich ist: grandioses optische Effekte, die in die Gegenwart führen und das alte spöttische musikalische Lust- und Verwirrspiel über den spießigen Biedermann, der sich erst gern vom Fremden verführen lässt, um ihn dann umso brutaler auszusondern, ziemlich heutig erscheinen lässt.

Staatstheater Cottbus: Kleider machen Leute © Bernd Schöneberger
Bild: Bernd Schöneberger

Ein großartiger Opernabend

Das Premierenpublikum reagiert mit großem Jubel und stehenden Ovationen, nicht weil bereits ein kleiner Hauch von Abschiedsschmerz und Wehmut in der Luft liegt, sondern weil der Abend komplett stimmig ist und Märki es - mal wieder - geschafft hat, das ganze Ensemble zu Höchstleistungen zu animieren.

Der Chor, der grandios choreografiert in das Geschehen eingreift und es ironisch kommentiert; die vielen Miwirkenden, die als Bewohner von Seldwyla und Goldach in kleinsten Rollen kurze karikaturenhafte Auftritte absolvieren und satirisch anmutende Gesänge einstreuen; das herrlich aufspielende Philharmonische Orchester, das von Alexander Merzyn temperamentvoll durch den Notendschungel geführt wird: allen wird zu recht gehuldigt. Vor allem den drei Hauptakteuren: Paul Schweinester, der als Schneidergeselle mit seinem anmutig-klangschönen Tenor alle musikalischen Klippen zwischen klebrigem Kitsch und erregtem Eigensinn meistert; Anne Martha Schuitemaker, die als Nettchen elegant alle stimmlichen Untiefen auslotet und mit Empathie und Energie ihren Weg geht und schließlich Todd Boyce, der mit seinem zupackend-bärbeißigen Bariton einen Prokuristen Melchior Böhni zeichnet, dem man aus gedemütigter Männlichkeit und verschmähter Liebe jeden Verrat und jede Hinterlist zutraut.

Stephan Märki verabschiedet sich mit einer Opern-Rarität, die ohne einen einzigen Gassenhauer auskommt und doch lange im Gedächtnis bleiben wird. Großartig.

Frank Dietschreit, radio3

Mehr