Staatsoper Unter den Linden - "Fin de partie" von György Kurtág
Mehr als ein halbes Jahrhundert hat sich der ungarische Komponist György Kurtág mit Samuel Becketts "Endspiel" beschäftigt: 1957 erlebte er das Theaterstück in der Pariser Erstaufführung, 2010, im Alter von 85 Jahren, hat Kurtág mit der Komposition einer Oper begonnen, die 2018 an der Mailänder Scala uraufgeführt wurde. Jetzt kommt "Fin de partie" von György Kurtág an die Staatsoper Unter den Linden. Gestern Abend war Premiere.
György Kurtágs einzige große Oper "Fin de partie" war 2018 dem bereits über 90-Jährigen abgewonnen worden, obwohl er sich noch mitten in der Arbeit befand. Maßgeblich beteiligt am Erfolg dieses Abgewinnens war die sehr wichtige Ehefrau des Komponisten, die inzwischen verstorben ist. Nach ihrem Tod wandte sich Kurtág neuen Aufgaben zu. Der demnächst 99-Jährige komponiert immer noch. Da der Fragment-Charakter zu einem Beckett-Stück gut passt, präsentiert Regisseur Johannes Erath das Werk als ein in sich geschlossenes, fertiges Gebilde. Was es auch ist.
Becketts Vorlage als Komödie
Erath ist ein Mitbringsel der neuen Intendantin Elisabeth Sobotka, aus ihrer Zeit in Graz. Er betrachtet die Vorlage von Beckett rundheraus als Komödie. Es geht es um die Vergeblichkeit des Lebens. Herr und Knecht, Hamm und Clov, gehen einander auf die Nerven. Die Eltern sitzen in Mülltonnen, weil ihre Beine bei einem Tandem-Ausflug abhanden gekommen sind. Letzteres wäre allein schon der Grundriss einer makabren Farce. Die Protagonisten tragen glitzernde Manegen-Fräcke. Am Ende sitzt Hamm wie eine Spinne inmitten eines umgestürzten Riesenrads. Das beginnt schließlich, sich im Liegen zu drehen. Erath, mit anderen Worten, hat eine Meinung zum Stück. Und ausstatten kann er auch.
Tupfig hingezupfte, geseufzte, teilweise gerülpste Töne
Kurtág selber wurde bekannt für eine skelettierend verdichtende Klangsprache. Hier sind es tupfig hingezupfte, geseufzte, teilweise gerülpste Töne mit ausgreifenden Generalpausen dazwischen: Inseln des Nichts. Dabei muss man dem Komponisten zugute halten, dass selten eine so tiefenentspannte Musik geschrieben wurde. Hier braucht offenbar jemand überhaupt nichts mehr zu beweisen. Mal gibt es tonale Einschlüsse, wenn es gerade in den Kram passt. Die innere Gelöstheit führt zum Eindruck einer wie gründlich durchmassierten Musik. Mit gut 100 Minuten hat’s ungefähr die Länge von "Elektra". Hätte auch nicht länger sein müssen.
Endlich ein guter Abend an der Staatsoper
Für die Sänger ist das womöglich leichter zu realisieren als für die Musiker, die viel zählen müssen. Was Laurent Naouri Gelegenheit gibt, seine Partie wirklich zu singen, und nicht nur zu deklamieren. Bo Skovhus ist ein bisschen knubbeliger drauf, hat aber auch die Sancho Pansa-Rolle abgekriegt. Dalia Schaechter und Stephan Rügamer sitzen nicht immer in der Tonne. Ihnen allen kommt das Verdienst zu, die Komik der Inszenierung tatsächlich musikalisch umzusetzen. Was ein hohes Lob darstellt.
Endlich ein guter Abend. Nach den völlig versemmelten Einstiegsinzenierungen der Ära Sobotka ("Nabucco" und "Roméo et Juliette") war ein Anschuberfolg dringend nötig. Etliches jüngere Publikum war auch drin.
Kai Luehrs-Kaiser, radio3