Staatstheater Cottbus | Der Rosenkavalier © Bernd Schönberger
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Staatstheater Cottbus - "Der Rosenkavalier"

Bewertung:

Mit "Elektra" und "Salome" ist Richard Strauss bis an den Rand der Atonalität vorgestoßen. Jetzt sucht er ein Libretto für eine komische Oper. Als Hugo von Hofmannsthal ihm ein Szenarium für eine Oper mit bunter Handlung und drastischer Komik schickt, ist Strauss begeistert und kündigt an, sein nächstes Werk werde eine "Mozart"-Oper sein. Im Januar 1911 findet in Dresden die umjubelte Uraufführung statt: "Der Rosenkavalier" wird zur wohl bekanntesten und erfolgreichsten Oper des Komponisten. Ob die "Komödie für Musik" auch heute noch das Publikum verzaubert? Am Wochenende war die Premiere des "Rosenkavaliers" am Staatstheater Cottbus. Die musikalische Leitung hatte Alexander Merzyn, die Regie Tomo Sugao.

Die geniale Lässigkeit und frivole Lustbarkeit Mozarts war dann doch nichts für Strauss, sein Vorhaben blieb reiner Vorsatz. In manchen turbulenten Situationen des Liebesreigens ist der "Figaro" zwar nicht weit, und Strauss hat sich auch um einen leichten Ton bemüht und um helle Klangfarben, er macht auch ein paar Ausflüge in den Wiener Walzer. Wenn der erklingt, greifen in Cottbus Alexander Merzyn und sein Orchester gern zu und lasen die Liebenden fröhlich über die Bühne schweben.

Ansonsten hält man sich im Graben aber hörbar zurück, setzt auf filigrane Töne und intime Momente und geleitet die Liebenden auf einem sanften musikalischen Teppich durch den Abend. Tomo Sugao ist zwar ein Mozart-Spezialist und hat in Cottbus die "Zauberflöte" herrlich erklingen lassen, aber auch da wehte schon Melancholie durchs musikalische Gewebe und szenische Geschehen. Diese philosophische Grübelei über die Vergänglichkeit führt Sugao im „Rosenkavalier“ von Strauss jetzt weiter und lässt die Komödie oft Tragische und Ausweglose kippen.

Lehrstück über den gesellschaftlichen Zusammenbruch

Die Handlung spielt bei Strauss in einem fiktiven Wien in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Sugao macht es wie Götz Friedrich 1993 an der Deutschen Oper in Berlin, entsorgt den ganzen Plunder und Plüsch des Rokoko, verlegt das Geschehen in die Entstehungszeit der Oper verlegt. Wir sind am Vorabend des 1. Weltkrieges, der Adel ist dekadent, die Monarchie marode, das aufstrebende Bürgertum strebt nach Anerkennung. Der alte Brauch, mit einem "Rosenkavalier" um die Braut zu werben, ist nur noch leeres Ritual.

Octavian ist der Einzige, der als Rosenkavalier mit Rokoko-Kostüm und gepuderter Perücke auftreten darf, alle anderen tragen bürgerliche Kleidung, leben in spießiger Behaglichkeit, in die gelegentlich das Proletariat einfällt und Unheil ankündigt. Sugao macht den "Rosenkavalier" zum Lehrstück über den gesellschaftlichen Zusammenbruch, zur philosophischen Betrachtung über Werden und Vergehen und zu einem Spiegel des Geschlechterkampfes: ist wird eine Hymne auf den Freiheitsdrang starker Frauen und ein Abgesang auf schwache Männer, die in den Orkus der Geschichte gehören.

Die Feldmarschallin ist eine Frau, die sich selbstbewusst den jungen Liebhaber Octavian gönnt, ihn aber großmütig ziehen lässt, als der sich in jene junge Frau verliebt, der er als Brautwerber des Baron Ochs eine Rose überbringen soll. Die Feldmarschallin von Lea-Ann Dunbar hat eine raumgreifende Präsenz, mit sparsamen Bewegungen und anmutiger Stimme legt sie uns ihre zerbrechende Welt zu Füßen, aus deren Asche sie erstarkt wieder auferstehen wird. Der frisch verliebten Sophie gelingt es, sich mit der sinnlichen und stimmlichen Eleganz von Anne Martha Schuitemaker aus der Vormundschaft ihres herrischen Vaters zu befreien, der seine Tochter an den Baron verschachern will, um seine gesellschaftliche Stellung zu untermauern.

Sophie wirft ihre Ketten ab und flieht in ein neues Leben: mit Octavian, und da wird der Geschlechterkampf heikel. Denn in Octavian steckt ja eine Frau, es ist eine Hosenrolle, die Rahel Brede mit unbändiger Spielfreude und stimmlicher Brillanz ausfüllt. Ob Octavian sich mit der Marschallin im Lotterbett suhlt oder Küsse mit Sophie austauscht, er bleibt immer, in den femininen Bewegungen und mit der Stimme einer Mezzosopranistin, als Frau erkennbar, und ist doch ein Mann. Aber die Männer sind eine aussterbende und unsympathische Spezies. Der Feldmarschall ist permanent abwesend.

Baron Ochs wird von Philipp Meyer mit herrischem Bass und als Ekelpaket vorgeführt, der Frauen sexuell belästigt. Und Sophies neuadliger Vater wird vom bärbeißigen Bariton Andreas Jäpel als devoter Speichellecker gezeichnet, der nach unten tritt und nach oben buckelt. Ein fürchterliche Bagage: weg damit.

Staatstheater Cottbus | Der Rosenkavalier © Bernd Schönberger
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Perfekt und anrührend

Die Uraufführung löste einen regelrechten Hype aus, Opernfans reisten von Berlin mit Sonderzügen nach Dresden, um die Aufführung zu sehen: Dass möchte man auch dem Cottbusser "Rosenkavalier" gern wünschen. Denn der intellektuelle Mehrwert und die musikalische Raffinesse sind enorm. Allein das Finale der Liebenden, in dem sich die Stimmen überlagern und kunstvoll vereinen, die Feldmarschallin das Liebesschlachtfeld großzügig räumt, Octavian und Sophie ihr Glück kaum fassen können und glauben, in einem Traum zu leben, ist so perfekt und anrührend, dass man niederknien möchte. Aber ich fürchte, es steckt zu viel Melancholie und zu wenig Komik in der Inszenierung, um zum Publikumsrenner zu werden.

Einige Zuschauer*innen konnten mit den politischen Verweisen, den psychologischen Verwicklungen und der von Sugao reanimierten Brecht-Gardine wenig anfangen und machten sich frühzeitig von dannen. Sie mussten nicht mehr über die letzte Szene nachdenken, ein Nachspiel, da wird die Brecht-Gardine noch einmal kurz zur Seite gezogen. Dahinter hockt ein gedemütigter Lakai des Baron Ochs, der vor einem Spiegel in brauner Uniform schon mal den Hitler-Gruß übt: Männer, die Stellung und Bedeutung verlieren, bringen Unheil und Kriege in die Welt.

Frank Dietschreit, rbbKultur