Riccardo Minasi, Violinist u. Dirigent © Nancy Horowitz
Nancy Horowitz
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Philharmonie Berlin - Berliner Philharmoniker unter Riccardo Minasi

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Erstmals stand der italienische Dirigent Riccardo Minasi am Pult der Berliner Philharmoniker. Der Chefdirigent des Mozarteum Orchesters Salzburg hat einen historisch informierten Hintergrund und präsentierte sich mit einem reinen Mozart-Programm.

Selten hat man ein solch spannendes und unterhaltsames Debüt erlebt. Riccardo Minasi weiß, was er will: nicht einfach schöne Musik – er will etwas erzählen. Mozart ist für ihn, das hört man sofort, jemand, der immer Musiktheater macht, auch in seinen Instrumentalwerken.

Gleich am Beginn fegt er durch die "Così fan tutte"-Ouvertüre, dass einige der Philharmoniker noch nicht ganz mitkommen. Aber es gibt eben auch das Innehalten. Minasi setzt ganz auf die Gegensätze.

Immer Drama

Und die Berliner Philharmoniker? Die nicht alles mitmachen? Hier doch, denn Riccardo Minasi versucht nicht, aus ihnen ein Originalklangensemble zu formen. Den philharmonischen Klang nimmt er, fordert ihn aber noch einmal heraus.

In Mozarts "Haffner-Sinfonie" wirkt vieles leicht und gelöst – aber Minasi lässt nichts einfach so laufen. Jede Figur, jedes Motiv hat bei ihm eine Aussage, ist ein Ausruf, ein Seufzer, ein Aufgeregtsein oder ein schwärmerisches Genießen.

Und genauso dirigiert er, fuchtelt in alle Richtungen, es kann nie intensiv genug sein. Bei ihm ist Mozart nie gefällig, sondern aufregend und unberechenbar, immer Drama.

Wann darf ich klatschen?

Und das alles überträgt sich auf das Publikum. Das gibt es wirklich selten, dass das Stammpublikum der Philharmoniker zwischen den Sätzen applaudiert. Riccardo Minasi macht sich einen Spaß daraus, deutet wortlos an, dass zwischen den Sätzen nicht, am Ende aber gerne Beifall gegeben werden darf.

Was passiert? Nach dem zweiten Satz gibt es wieder Beifall, und ein einzelner Klatscher nach dem Menuett wird von Minasi mit einem "Dankeschön" kommentiert. Minasis diebischer Humor – hier wie da – sorgt für eine ganz andere Stimmung im Saal als sonst bei Philharmoniker-Konzerten.

Zum Hinknien schön

Mozarts Concertone hört man fast nie. Eigentlich aus gutem Grund – ein Beweis dafür, dass auch so ein Genie wie Mozart langweilige Musik geschrieben hat. Aber hier? Nichts von Langeweile. Was Riccardo Minasi mit dem Solistentrio aus den Reihen der Philharmoniker macht, ist so spannend, dass man gebannt den Atem anhält.

Noah Bendix-Balgley, Thomas Timm und Albrecht Mayer stehen um den Dirigenten, als wenn sie gemeinsam etwas aushecken. Und das tun sie irgendwie auch, werfen sich akustisch die Bälle zu. Alle spielen wunderbar, aber wenn Albrecht Mayer seine Oboe ansetzt, hat man alles drumherum vergessen – das ist zum Hinknien schön.

Knapp vor dem Herzinfarkt

Gleichfalls unberechenbar, aber hier ganz als ernsthafte Auseinandersetzung nimmt Riccardo Minasi die große g-Moll-Sinfonie von Mozart. Das ist panische Aufgeregtheit am Abgrund. Wilde Ausbrüche wechseln sich mit nachdenklichen Momenten ab. Da schießt es geradezu davon, wird aber auch ganz nahe herangezogen und ausgebremst, wenn es gilt, sich für Wichtiges Zeit zu nehmen.

Wie flexibel Minasi mit den Tempi umgeht, das hat man in dieser Radikalität allenfalls Jahrzehnte früher bei Furtwängler gehört. Hier lebt es ganz aus der Momentaussage, aus der Emotionalität. Und man hält den Atem an, das ist Musik knapp vor dem Herzinfarkt, und ganz nahe an Mozart.

Begeisterndes Debüt

Welch ein Debüt! Da kann man den Berliner Philharmonikern nur dringend empfehlen, Riccardo Minasi wieder einzuladen. Nicht nur, weil es jedem Orchester guttut, aus Gründen klanglicher Flexibilität mit Vertretern historisch informierter Aufführungspraxis zusammenzuarbeiten.

Mit Riccardo Minasi hat man einen Dirigenten, der dem scheinbar Bekannten misstraut und es neu entdeckt, der im besten Sinne erschüttert und begeistert. Das jedenfalls war eines der aufregendsten Konzerte der letzten Monate.

Andreas Göbel, rbbKultur