Album der Woche | Sommer-Best-of - Jeanne Leleu: "Une Consécration éclatante" (Vol. 1)
Die französische Komponistin Jeanne Leleu gehört zu den zahlreichen in Vergessenheit geratenen Komponistinnen. Dabei war Leanne Leleu zu Lebzeiten äußerst erfolgreich - sowohl als Pianistin als auch als Komponistin. Das französische Plattenlabel "La boîte à pépites", das sich zur Aufgabe gemacht hat, vergessene Musikerinnen wiederzuentdecken, hat jetzt ein Album mit Werken von Jeanne Leleu herausgebracht. Lauter Ersteinspielungen.
Am 20. April 1910 gab es in der Salle Gaveau in Paris einen Klavierabend. Unter den Pianisten: Gabriel Fauré. Nach ihm betraten zwei Mädchen die Bühne. Sie spielten Maurice Ravels "Ma Mère l’Oye". Es war die Uraufführung dieses Werks für Klavier zu vier Händen. Ravel selbst saß im Publikum. Er war begeistert. Vor allem das Klavierspiel des einen der beiden Mädchen gefiel ihm so außerordentlich, dass er dem Kind kurz darauf ein Prélude widmete. 11 Jahre alt war das Kind bei jener Uraufführung. Das Mädchen war Jeanne Leleu.
Einst ein Wunderkind – heute vergessen
Geboren 1898 war sie als Pianistin ein wahres Wunderkind. Später wurde sie auch als Komponistin mit renommierten Preisen ausgezeichnet und ihre Werke wurden häufig im französischen Radio gespielt. Jeanne Leleu starb 1979. Seither ist sie nahezu komplett vergessen. Ihre Partituren: zum großen Teil unauffindbar.
Es war das Klavierquartett von Jeanne Leleu aus dem Jahr 1922, auf das die Cellistin Héloïse Luzzati in den Archiven der französischen Nationalbibliothek stieß. Ein Fundstück für das von ihr begründete Label "La boîte à pépites".
Eigene Musiksprache im Geist der Zeit
Geheimnisvoll klingt das Quartett zu Beginn, dann wird es immer lebendiger - mit markanten Rhythmen. Man spüre den Einfluss der Komponisten jener Zeit: Debussy, Ravel, Stravinsky, sagt Héloïse Luzzati. Zugleich könne man das Quartett keinem der bekannten Namen zuschreiben: "Schon in jungen Jahren hatte Jeanne Leleu eine eigene Musiksprache."
Musikalische Postkarten aus Italien
Wie sie ist auch die Pianistin Célia Oneto Bensaid von Jeanne Leleu angetan. Von den kleinen Klavierstücken "En Italie" ("In Italien") beispielsweise. Die Stücke erinnern an einzelne Postkarten. An kurze auf einem Foto festgehaltene Szenen, ausgedrückt in Musik. "Sonntags in der Osteria" heißt eine dieser Szenen.
Célia Oneto Bensaid hat sich die Szene beim Einspielen genau ausgemalt:
"Ich habe mir all die Geräusche vorgestellt, die man in so einer Gaststätte hört, das Klirren der Gläser und des Geschirrs, Leute, die miteinander diskutieren – oder auch sich zuprosten.“
An den ruhigeren Stellen des Stücks habe sie sich vorgestellt, wie die Kamera einen der Tische heranzoomt: "Eine Nahaufnahme von einem Großvater und seiner Familie", beschreibt die Pianistin ihre Herangehensweise.
Das letzte der Klavierstücke auf dem Album, "Les compagnons de Saint François", ("Die Wegbegleiter des Heiligen Franziskus") mag Célia Oneto Bensaid ganz besonders. Es habe für sie etwas sehr Beruhigendes, Friedliches und Ausgeglichenes, das ihr immer wieder aufs Neue wohltue.
Ein Liebesdrama in sechs Sonetten
Eine weitere Entdeckung: Sechs Sonette von Michelangelo. Neben der Vertonung für Stimme und Klavier hatte Jeanne Leleu auch eine Fassung für Stimme und Orchester geschrieben, die jedoch bislang verschollen ist. Das Orchestrale stecke auch in der Fassung mit Klavier, findet Célia Oneto Bensaid:
"Im vierten Sonnet gibt es zum Beispiel eine Stelle, wo das Klavier wie eine Oboe klingt oder ein Englisch Horn – mit hohen Trillern.“
Sie interpretiert die Sonette als ein Liebesdrama, das mit Verführung und Zärtlichkeit beginnt und mit Schrecken endet. Im letzten Sonett habe sie den Eindruck, dass der Erzähler stirbt:
"Die linke Hand im Klavier spielt da sehr tief. Richtige Abgründe. Der Protagonist: zugrundegegangen an seinen Liebesabenteuern.“
Wiederentdeckte Werke – mit Neugier und Leidenschaft gespielt
Tiefgründige und facettenreiche Werke lässt das Album entdecken – alles Ersteinspielungen – von einem jungen Ensemble aus Frankreich mit Neugier und Leidenschaft gespielt. Stücke von Jeanne Leleu, einer Komponistin, die es unbedingt verdient hat, dass man wieder und weiterhin von ihr spricht – und dass man ihre Werke wieder zum Leben erweckt.
Antje Bonhage, radio3