Roberto Saviano: Falcone © Hanser
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Roman - Roberto Saviano: "Falcone"

Bewertung:

Roberto Saviano wurde mit "Gomorrha", einer literarischen Reportage über die Camorra in Neapel berühmt. Sein Buch wurde in 50 Sprachen übersetzt, in 10 Millionen Exemplaren verkauft, erfolgreich verfilmt und als Bühnenstück produziert. Doch seit 2006 muss Roberto Saviano ähnlich wie Salman Rushdie um sein Leben fürchten und steht unter ständigem Polizeischutz. Im letzten Jahr erschien eine Graphic Novel über sein Leben: "I‘m still alive". Jetzt ist von ihm selbst ein neuer Roman erschienen: "Falcone".

Sizilien, Palermo, die 80er Jahre. Fast täglich wird jemand von der Mafia umgebracht. Der Grund: Es tobt ein Mafiakrieg zwischen zwei Fraktionen: Auf der einen Seite die Cosa Nostra mit ihrem Zentrum in Palermo, zum anderen gibt es eine neue Gruppierung, die aus dem Hinterland kommt, aus Corleone. Die noch brutaler ist und die die Macht und den Heroinhandel übernehmen will.

Der Hintergrund

Entkommt einer der gejagten Rivalen, wie z.B. Tommaso Buscetta, der später zu einem wichtigen Kronzeugen werde sollte, dann werden an seiner Stelle sämtliche Familienmitglieder ermordet: Kinder, Geschwister, Nichten, Vettern. Und wer sich dem Morden und den Geschäften entgegenstellt, wird ebenfalls umgebracht: Polizisten, Richter, Journalisten.

Erst Mitte der 80er Jahre gelingt es erstmals, Untersuchungsrichtern wie Giovanni Falcone die Strukturen aufzudecken: Wer hängt mir wem zusammen? Dafür folgt er akribisch den Geldströmen: Wo kommt es an, wo wird es gewaschen und wo in welchen Banken eingezahlt? Dies und die Rolle der Kronzeugen, der "Reuemütigen" (i pentiti) bringen schließlich den Durchbruch: In einem Maxiprozess werden 1986 fast 500 Mafiosi vor Gericht gebracht und 344 von ihnen zu hohen Haftstrafen verurteilt.

Die Mafia rächt sich mit dem direkten Angriff auf den Staat, den Bombenanschlägen 1992 auf Giovanni Falcone und Paolo Borsellino.

Der Roman

Der Roman gliedert sich in zwei Teile. Zu Beginn eine entscheidende Szene 1943 in Sizilien, Corleone. Ein Bauer sammelt Blindgänger auf, amerikanischen Bomben, um sie nach der Entschärfung als Altmetall zu verkaufen. Er und seine Söhne kommen dabei aber ums Leben. Nur einer überlebt. Der zwölfjährige Totò u curtu, Totò, der kurze.

Dieser Junge, Salvatore Riina, wird zu einem der brutalsten Mafiabosse, auch "die Bestie" genannt, der ein halbes Jahrhundert später mit einer Bombe Giovanni Falcone umbringen lässt.

In der ersten Hälfte des Romans beleuchtet Saviano schlaglichtartig einzelne Szenen aus den siebziger und beginnenden 80er Jahren, ohne dabei immer chronologisch zu erzählen. Oft geht es um den Amtsantritt eines neuen Untersuchungsrichters oder Polizisten - und meist kann man gewiss sein: auch dieser wird bald ermordet werden.

Saviano deutet es oft nur an. Doch googelt man dann den Namen, liest man: ermordet dann und dann. Keine einzige Figur hat sich Saviano dabei ausgedacht. So ist dieser Roman auch ein großes Requiem, eine Würdigung all derjenigen, die obwohl sie wussten, dass sie höchstwahrscheinlich umgebracht werden, den Staffelstab von ihren toten Vorgängern im Kampf gegen die Mafia aufnahmen. Dazwischen fokussiert sich das Geschehen immer mehr Giovanni Falcone: wie er anfängt zu ermitteln und zusammen mit seinem engen Freund Paolo Borsellino eine schlagkräftige Anti-Mafiaeinheit aufbaut.

Der Höhepunkt für Falcone ist der Maxiprozess. Dies hätte sein Triumph sein können. Doch stattdessen wird er danach von der Politik kaltgestellt. Jetzt folgt Saviano ihm sehr dicht chronologisch. Und alles läuft auf den Bombenanschlag, seinen Tod zu. Saviano beschreibt wie Falcone im Räderwerk der italienischen Politik und Justiz immer weiter isoliert wird, Fehler begeht, verraten wird, aber auch von Freunden und Weggenossen kritisiert wird. Dies schafft erst die Voraussetzung für seine Ermordung.

Roberto Saviano sagte dazu im rbb-Interview:

"Wenn ich mir diese Geschichten ansehe von Menschen, die mit ihrem Leben bezahlt aber zugleich auch die Welt verändert haben, dann besteht meine einzige Botschaft darin: bleibt nicht alleine. Stellt Euch nicht allein gegen die Welt, sonst habt ihr bereits verloren. Denn diese Menschen, wie z.B. Falcone kamen um, weil sie allein gelassen wurden. Ich hoffe, ich bin es nicht – alleine. Auch wenn viele aus der Politik versuchen, mich zu isolieren. Nicht allein zu bleiben, ist der einzige Weg der Rettung."

Das Erfundene

Alle Kapitel sind sehr kurz und vor allem sehr filmisch gestaltet, das heißt Saviano, nimmt sich die Freiheit, anders als es ein Biograf könnte, und schreibt ihnen Dialoge. So schildert er Falcone auch in privaten, intimen Momenten. Zum Beispiel, wenn Falcone schlaflos im Bett liegt, neben ihm ebenso wach seine zweite Ehefrau Francesca, die mit ihm bei dem Bombenanschlag sterben wird. Saviano lässt den Leser an den Gedanken der beiden teilhaben. All dies entspringt natürlich der Fantasie von Saviano, seiner Imaginationskraft. Aber er bleibt darin immer glaubhaft. Und lässt dadurch sehr plastisch die Atmosphäre jener bleiernen Jahre lebendig werden, wie auch die Emotionen der Männer, die gegen die Mafia antraten, und die oftmals noch von der Erinnerung an den Krieg und den Partisanenkampf geprägt waren.

Was den großen Unterscheid zu einem Sachbuch oder einer Biographie ausmacht: Savianos Roman ist mit großer Empathie diesen Männern gegenüber geschrieben – und bleibt aber trotzdem diesen Mördern und Monstern gegenüber, wie z.B. Salvatore Riina, als Autor äußerst zurückhaltend und fair.

Saviano möchte eines nicht: dass man sich an diese Männer und Frauen, wie Giovanni Falcone und seine Frau Francesca Morvillo, nur als Opfer und Märtyrer erinnert. Sondern er möchte sie eben auch als lebendige Menschen zeigten - Menschen, die glücklich waren und ein erfülltes Leben auch jenseits der Mafia besaßen.

Tomas Fitzel, rbbKultur