Delikatessen frisch vom Wegesrand - Essbare Blumen und Blüten
Dass es Frühling ist, lässt sich auch am süßen Duft erkennen, der in der Luft schwebt. Holunder und Robinien tragen mittlerweile Blüten, Linden entfalten bald auch ihren betörenden Duft, leider nur für wenige Wochen. Die Versuchung liegt nah, das schöne, flüchtige Aroma in Gerichten festzuhalten, auch jenseits süßer Klassiker - gebratene Dolden, Blütenparfait, -krokant und Sirup. Mit Blütenblättern lassen sich Risotto, Salate und sogar Rührei und Hauptgerichte ausgefallen veredeln.
Blüten auf dem Teller mögen in Zeiten von Instagram und allgegenwärtigen Kochsendungen wie ein neuer Trend klingen. Doch das "Foraging", das Ernten von Delikatessen vom Wegesrand, haben Menschen schon in der Antike praktiziert. Das Verfeinern von Gerichten mit Blüten war im alten Griechenland und im alten Rom üblich, in China ist es das heute immer noch. In der indischen und persischen Küche werden Gerichte oft mit getrockneten Rosenblättern gewürzt, in der arabischen Küche sind vor allem Rosen- und Orangenblütenwasser beliebt.
Für das Auge und für den Gaumen
Viele der großen Köche der Geschichte, von Apicius bis Bartolomeo Scappi und Maestro Martino, belegen in ihren Schriften, dass Blüten auf dem Teller sowohl in der aristokratischen als auch in der Bauernküche üblich waren. Ihre Funktion bestand darin, nicht nur Aroma und Duft einzubringen, sondern auch Gerichte "weniger traurig" zu machen für diejenigen, die auf Diät sein mussten. Mit Blüten wie Jasmin, Holunder oder Rosen wurden aber vor allem Wein und Liköre aromatisiert (Rosenwein in "De Re Coquinaria" von Apicius), oft als Stärkung für adelige Damen.
Im Mittelalter haben die Eigenschaften der Blüten vor allem in der Natur- und Heilkunde an Bedeutung gewonnen. Die Abtissin und Universalgelehrte Hildegard von Bingen, die im 12. Jahrhundert lebte, empfahl, u.a. Gänseblümchen wegen ihrer blutbildender Wirkung zu essen.
"Instagrammable" heißt nicht immer genießbar ...
Allerdings wurden schon immer von den Pflanzen vor allem andere Teile gegessen, weil Blüten zwar Vitamine und Mineralien liefern, aber kaum Nährstoffe. Wer das Problem hatte, satt zu werden, hat wahrscheinlich für Gänseblümchen & Co. wenig übrig gehabt. Womöglich spielte auch immer wieder die Furcht mit, die Blüten könnten giftig oder verunreinigt sein. Vor wenigen Jahren ging die Warnung durch die Medien, schöne Fotos von Gerichten, die mit Blüten dekoriert waren, nicht gutgläubig nachzukochen: Die Blüten erwiesen sich in manchen Fällen als giftig! Das erklärt vielleicht, warum die Restaurantkundschaft oft die Blüten auf dem Tellerrand liegen lässt, im Glauben, es handle sich um Deko. Dabei werden Blüten in der gehobenen Küche in ausgefallenen Kombinationen gerade wegen ihres Aromas und Duftes eingesetzt.
Flüchtiger Genuss
Selbstverständlich sollten wir die Blüten in Parks oder Gartenkolonien suchen, fern vom Straßenverkehr und an Stellen, die von Tieren schwer erreicht werden können. Blütendolden sollten nicht gewaschen, sondern nur von eventuellen Insekten befreit werden. Wichtig ist, sie zu ernten, wenn sie gerade aufgeblüht sind - idealerweise an einem trockenen Vormittag. Bei Holunder ist es besonders wichtig, einen offenen Korb zu benutzen. In keinem Fall sollten die Blüten luftdicht in eine Tüte gelegt werden: der honigsüße, paradiesische Duft entwickelt sich zu einem etwas strengen Geruch, der ein bisschen an Reviermarkierungen männlicher Katzen erinnert.
Auch Lindenblüten sollten schnell verarbeitet werden, jedenfalls bevor sie anfangen, den Honigtau fallen zu lassen, den das autofahrende Volk hasst, weil er die parkenden Autos klebrig macht. Einmal überprüft, welche Blüten essbar sind – sie dürfen natürlich nicht mit Chemie gespritzt worden sein – steht ihrer Verwendung in der Küche nichts im Wege.
Vom Frühstück bis zum Abendessen
Robinien-, Holunder- und Lindenblüten eignen sich mit ihrem süsslichen Geschmack für Süßspeisen, vor allem für die im Teig ausgebackenen Blütendolden, die mit Puderzucker oder Akazienhonig beträufelt werden. Aus Holunderblüten wird oft Sirup gemacht, mit Sekt ist dieser Grundlage für den fast schmerzlich-blumigen Sommerdrink "Hugo".
In Krokant- und Schokoladenkreationen sehen die feinen Holunder- und Lindenblüten besonders gut aus. Mit abgelösten Holunderblüten lässt sich auch Risotto veredeln, mit Parmesan, Erdbeeren und Basilikum abgeschmeckt, so wie auch Fleischgerichte wie Schweinemedaillons mit Sauerkirschen und Holunderblütensauce mit frischer Minze.
Für ein blumiges Frühstück können Lindenblütenblätter auch der Butter beigemischt oder über das Rührei gestreut werden. Blüten von essbaren Kräutern wie Schnittlauch, Thymian und Rosmarin schmecken immer milder und fruchtiger als die Blätter selbst. Über Salate und gegrillte Ziegenkäsetaler verteilt, kommt ihr feines Aroma besonders gut zur Geltung.
Bei der Kapuzinerkresse sind die Blüten zwar sehr dekorativ, aber geschmacklich eher neutral, anders als die Blätter. Borretschblüten haben auch kaum Geschmnack, sind aber äußerst dekorativ und waren schon immer ein beliebtes Motiv in der Kunst. Ringelblumen schmecken leicht säuerlich, Rucolablüten passen mit ihrem pfeffrigen Geschmack sogar zu Fleischgerichten und Kürbisblüten sind mittlerweile bekannt, aber hierzulande einfach zu teuer - es sei denn, man züchtet Zucchini im eigenen Garten.
Elisabetta Gaddoni, radio3