Lola © Neue Visionen Filmverleih
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Sciene Fiction-Drama - "Lola"

Bewertung:

"Lola" ist das in Schwarz-weiß gedrehte Regiedebüt des Iren Andrew Legge. Ein gewitztes Spiel mit dem Motiv der Zeitreise: Was wäre, wenn wir die Nachrichten der Zukunft sehen könnten? Welche Folgen hätte das auf privater und politischer Ebene, insbesondere in Kriegszeiten? Seine Premiere feierte der Film im August 2022 auf dem Festival in Locarno und hat seitdem viele Preise eingesammelt. Jetzt kommt er zum Jahresende endlich in unsere Kinos.

"Ground Control to Major Tom …" - Wie ein Alien erscheint David Bowie in den grobkörnigen Bildern auf dem Bildschirm der Zeitmaschine, eine geheimnisvolle Erscheinung, eine außerirdisch klingende Stimme aus der Zukunft des Jahres 1969.

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Bild: Neue Visionen Filmverleih

Pippi Langstrumpf-Duo im britischen Landhaus

So platzt er mitten hinein in die späten 30er Jahre in England, in ein altes verfallenes Landhaus, das die beiden Schwestern Thomasin und Martha Hanbury, kurz Tom und Mars, von ihren früh verstorbenen Eltern geerbt haben. Ein wenig leben die beiden jungen Frauen wie ein nie ganz erwachsen gewordenes Pippi Langstrumpf-Duo: pfiffig und eigenwillig, erfinderisch und anarchistisch, ohne Erwachsene, die sich um sie kümmern oder sie reglementieren. Und wie Pippi reiten auch sie auf einem Pferd durchs Haus.

Tom hat die Wundermaschine zusammengetüftelt, Mars rekapituliert ihre Geschichte für den Zuschauer im Stil eines auf alten Vintage-Kameras gedrehten Home-Movies: "Ich werde nie den Tag vergessen, als wir sie zum ersten Mal anschalteten: am 1.Oktober 1938", erzählt Mars. "Lola eröffnete uns eine magische neue Welt. 1938 wurde zu 1939, doch diese Jahreszahlen bedeuteten uns gar nichts, wir lebten in einer anderen Zeit."

Gewitztes Spiel mit Popkultur und Zeitgeschichte

Zunächst mal verschafft die Maschine den Schwestern eine verlässliche Einnahmequelle, denn wer die Zukunft kennt, hat deutlich bessere Chancen bei Pferdewetten. Die titelgebende Maschine benennen die Hanbury-Schwestern nach ihrer verstorbenen Mutter, mit einem gewissen Augenzwinkern zu den berühmten Lolas der Filmgeschichte, wie überhaupt immer wieder kleine Zitate und Hommagen ins Geflecht des Films eingewoben sind - beispielsweise zu Zeitreise-Filmen wie "Back to the Future" von Robert Zemeckis.

Der Blick in die Zukunft ist für die beiden zunächst mal ein gewitztes Spiel mit Popkultur und Zeitgeschichte: Wie wirken David Bowie, Bob Dylan und die Kinks, wenn sie aus ihrer Zeit gefallen sind? In einer wunderbaren Szene singt Martha den Kinks-Song "You really got me" und reißt die Zuschauer nach kurzer Irritation über die neuartigen Klänge in ekstatische Tanzrhythmen. Die Schwestern nehmen Ideen und Sprachwendungen aus der Zukunft auf, überraschen ihre Zeitgenossen mit spacigen Worten wie "cool", mit progressiven Ansichten zur amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und ihrem Wissen von der Mondlandung.

 

Lola © Neue Visionen Filmverleih
Bild: Neue Visionen Filmverleih

Das Spiel mit der Zukunft hat seine Tücken

Doch aus dem Spiel wird bald Ernst, denn nach der Popkultur kommt schnell die Politik ins Spiel: "Lola zeigte uns nicht nur die Wunder der Welt, sondern auch ihr Grauen. Die Nazis hatten Europa verwüstet, Paris war gefallen, Dünkirchen evakuiert und jetzt nahm Hitler Großbritannien ins Visier. Der Blitzkrieg würde in den kommenden Monaten tausende von Menschenleben fordern. Lola konnte nicht länger uns allein gehören."

Nachrichten aus der Zukunft sind wertvolle Informationen, die im Krieg entscheidende Vorteile bringen. So werden die beiden Frauen zu Geheimagentinnen, die Tausende von Leben retten. Doch, wie in allen Zeitreise-Filmen, hat das Spiel mit der Zukunft seine Tücken: Entsetzt stellen sie fest, dass ihr geliebter David Bowie aus der Zukunft radiert wurde. Stattdessen singt sich in seinem Stil ein gewisser Reginald Watson an die Spitze der Charts, mit Nazi-Popsongs wie "Meet me at the Gallows" und "The Sound of Marching Feet", die Neil Hannon für den Film komponiert hat.

Gewitztes Feuerwerk der Ideen und Gedanken

Mit schnittiger Kurzhaarfrisur und androgyner Kleidung wirkt vor allem die von Emma Appleton gespielte Thomasin in der Welt der 40er Jahre ausgesprochen modern. Das Wissen um die Zukunft verändert nicht nur die Welt, sondern auch die Schwestern. Die im Stil von dokumentarischen Home-Movies gedrehten Schwarz-weiß-Bilder wirken flirrend, flüchtig und sprunghaft, und immer wieder werden sie mit historischen Archivbildern versetzt, die die Science Fiction in der Historie verankern.

Mit kleinem Budget und viel Fantasie verbindet Andrew Legge in seinem Spielfilmdebüt das Spielerische mit dem Todernsten und kompiliert aus vielen Teilen ein vergnüglich gewitztes Feuerwerk der Ideen und Gedanken, das noch lange nachklingt.

Anke Sterneborg, rbbKultur