791 KM © PANTALEON Films/ProU Producers United Film
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Tragikomödie - "791 KM"

Bewertung:

Bekannt geworden ist Tobi Baumann um die Jahrtausendwende zunächst mit den "Ladykracher"-Sketchen mit Anke Engelke, es folgten weitere komische Formate und Fernsehserien wie "Ohne Worte", "Liebesleben" und "Die Abstauber – Herrenjahre sind keine Lehrjahre". Und schließlich der erste Kinofilm: "Der WiXXer", eine Parodie auf die Edgar Wallace-Filme der 50er- und 60er Jahre. Richtig ernst hat Tobi Baumann nie gemacht, das dürfte auch jetzt nicht anders sein, wenn er in "791 km" fünf Menschen eine Nacht lang im Auto von München nach Hamburg fahren lässt.

Wir haben es gerade wieder ganz real erlebt: Massive Schneefälle in Süddeutschland haben den öffentlichen Verkehr in der Luft, auf den Schienen und Straßen zum Erliegen gebracht.

Reibungsfunken in der Zweckgemeinschaft

Philipp (Ben Münchow) bleibt dabei ganz frohgemut, schlägt vor, sich ein Zimmer zu mieten, essen und tanzen zu gehen. Seine Freundin Tiana (Nilam Farooq) denkt nur an den Präsentationstermin am nächsten Morgen in Hamburg und hat dazu noch ein weiteres Karriere- und Lebensthema im Kopf ...

Und das sind nur zwei verschiedene Sichtweisen, von insgesamt fünf, die in diesem Film auf engstem Raum eines Taxis Reibungsfunken schlagen - in einer Nacht auf der 791km langen Strecke von München nach Hamburg.

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Konträre Kräfte auf engstem Raum

Zuerst gibt es Gerangel um die wenigen verfügbaren Taxis. Philipp, Tiana und Marianne (Iris Berben) stürmen auf ein Taxi zu, in dem Susi bereits sitzt. Ein junges Mädchen, im roten Hoodie, der ihr die Anmutung von Rotkäppchen gibt. Gar nicht cool findet das der Taxifahrer Josef (Joachim Król), der ganz andere Pläne für diese Nacht hatte und überhaupt nicht in Stimmung für Gesellschaft ist, sich aber von dem lukrativen Angebot, vier Bahnersatz-Gutscheine im Wert von je 350 Euro zu kassieren, überzeugen lässt.

Dicht an dicht im Auto eine Nacht zusammen verbringen, mit jeder Menge Sorgen und Problemen im Gepäck - da gibt es wenig Spielraum für Distanz und Diskretion: Iris Berben als angriffslustige Althippie-Brokdorf-Demonstrantin mit grauer Strähne im wallenden Haar, Nilam Farooq als junge Karrierefrau, die ihren gefühlten Migrationsmakel mit doppelt beflissenem Eifer kompensiert, im Kontrast dazu Ben Münchow mit tiefenentspannter Kiffer-Mentalität und Joachim Król als brummig konservativer, vom Leben gebeutelter Malocher. Und mittendrin Lena Urzendowsky mit ihrer besonderen Mischung aus tragischem Schicksal und kindlicher Frontaldirektheit: "Es ist schön, dass wir alle zusammenfahren, oder?" fragt sie und schlägt ein Kinderspiel vor.

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Extrem-Kammerspiel-Roadmovie

Auf dem engsten Raum des Taxis ist in volatiler Mischung alles drin, was derzeit die deutsche Gesellschaft im Innern auf eine Zerreißprobe stellt. Tobi Baumann steuert seinen erprobten Humor bei, und den Ehrgeiz, das Extrem-Kammerspiel-Roadmovie nie monoton aussehen zu lassen. So poltern die Reisenden zunächst ruppig aneinander und raufen sich im Laufe der Fahrt, mit wachsendem Verständnis für ihre Sorgen und Bedürfnisse zur fürsorglichen Ersatzfamilie zusammen.

Na, klar: Eigentlich müssten Menschen nur miteinander reden, um zu merken, dass sie trotz unterschiedlicher Lebensweisen, Kulturen und Ideologien, Sorgen und Träume mehr verbindet als trennt. Das ist vielleicht keine sonderlich originelle Prämisse, funktioniert mit einem gut zusammengewürfelten Schauspielerensemble dann aber doch erstaunlich gut.

Anke Sterneborg, rbbKultur

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