Wahlplakate der AfD und der Grünen zur Landtagwahl in Brandenburg. Bernau bei Berlin © picture alliance / Thomas Bartilla/ Geisler-Fotopress
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Die Debatte mit Ann Kristin Schenten, Clemens Tangerding und Ruth-Maria Thomas - Wahl in Brandenburg: Gegen die Sprachlosigkeit

"Ich möchte mir Erfahrungen anhören, die nicht meine sind." Clemens Tangerding

Kann man aushalten, wenn der Nachbar gegen Geflüchtete hetzt? Kann man mit der AfD-Wählerin zusammen an einem sozialen Projekt arbeiten? Ja, sagt der Historiker Clemens Tangerding – man sollte, man muss sogar. Wer nicht in den Dialog geht, könne auch niemanden überzeugen.

Die Schriftstellerin Ruth-Maria Thomas ist in Cottbus aufgewachsen und hat als Sozialarbeiterin in der Jugendhilfe gearbeitet. Ihr geht es darum, politische von sozialen Krisen zu unterscheiden. Sprachlosigkeit hält sie für gefährlich.

Wie können wir besser miteinander reden – vor und nach den Landtagswahlen in Brandenburg?

Sprachlosigkeit ist etwas Universelles. In der Lausitz passieren durch die DDR und Wendeerfahrung und jetzt durch den Strukturwandel viele Dinge, die neu sind für die Menschen und für die es gar keine Sprache gibt. Ich glaube aber, dass Sprachlosigkeit gefährlich ist, weil man dadurch weniger Identifikationsräume hat. Gerade deshalb ist es wichtig, dass man versucht, Grautöne genau anzuschauen. Zwischen den Zeilen zu lesen, genau hinzuschauen. Wie durch eine Lupe. Man muss zerlegen und versuchen zu benennen, so gut es eben geht. Dadurch entwickelt sich dann vielleicht eine neue Sprache.

Ruth-Maria Thomas

Ich wurde von niemanden so stark kritisiert wie von Leuten, die auch aufarbeiten: Man solle auf gar keinen Fall Projekte machen, in denen potenziell rechtes Gedankengut geäußert wird. Dahinter steckt eine Vorstellung von Debatte, die nicht meine ist. Nämlich, dass es, sobald man mit jemandem redet, immer einen Teil von Zustimmung enthält. Daran glaube ich überhaupt nicht. Wenn ich hier vorne an der Fußgängerampel stehe und es kommt ein LKW angefahren, obwohl er rot hat und ich den anschreie, dann rede ich mit dem. Aber nicht, weil ich zustimme, sondern weil ich möchte, dass er es beim nächsten Mal anders macht.

Clemens Tangerding
Ruth-Maria Thomas (© Urban Zintel) und Clemens Tangerding (© C.H. Beck/Katharina Gebauer)
Ruth-Maria Thomas und Clemens TangerdingBild: Urban Zintel | C.H. Beck/Katharina Gebauer

Gäste

Ruth-Maria Thomas, geboren 1993, in Cottbus aufgewachsen und war als Sozialarbeiterin in der Jugendhilfe tätig. Sie studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. 2022 war sie Finalistin des open mikes. Zuletzt erschienen ihre Essays "toxic – über häusliche Gewalt und verletzende Beziehungen" bei SWR2 und "wie ich frau bin" bei sukultur.

Ihr Debütroman "Die schönste Version" erschien im Juli 2024 beim Rowohlt Verlag und stand auf der longlist für den deutschen Buchpreis. Sie ist für den zdf Aspekte Literaturpreis nominiert.

Clemens Tangerding, geboren 1977, kommt aus Rottendorf bei Würzburg und ist freiberuflicher Historiker und Projektleiter in der historisch-politischen Bildungsarbeit, lebt in Luckenwalde und hat in vierzehn Einzelprojekten mit Bürgerinnen und Bürgern aus kleinen Orten in der ganzen Bundesrepublik die NS-Zeit aufgearbeitet. In Berlin arbeitet er unter anderem für den Panoramakünstler Yadegar Asisi und die Berliner Feuerwehr. "Rückkehr nach Rottendorf" erschien 2024 bei C.H. Beck.

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