Die Debatte mit Natascha Freundel, Joschka Fischer und Avi Primor -
"Es geht um die Existenz Israels." (Joschka Fischer)
Zwei elder statesmen sprechen offen über den Nahostkonflikt. Der hundert Jahre alte Konflikt – zwei Völker beanspruchen ein Land – birgt seit dem 7. Oktober die Gefahr eines neuen Weltkriegs, glaubt Joschka Fischer. Resigniert blickt der ehemalige deutsche Vizekanzler auf die Entwicklungen seit dem Oslo-Abkommen zurück: Den einseitigen Rückzug Israels aus dem Gaza-Streifen, die Intifada, die Machtübernahme der Hamas in Gaza.
Avi Primor, der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, kritisiert die sechste Amtszeit Benjamin Netanjahus scharf: die "Justizrevolution", das Versagen der Sicherheitspolitik am 7. Oktober. Der israelischen Führung gehe es nur um Machterhalt und um die Annexion der besetzten Gebiete. Kein Ausweg, nirgends? Bloß keine Ratschläge von Deutschland, so Fischer. Primor möchte realistisch bleiben und an Wunder glauben.
Avi Primor, geboren 1935 in Tel Aviv, war von 1993 bis 1999 israelischer Botschafter in Deutschland. Er ist Sohn eines niederländischen Emigranten; seine Mutter ging 1932 von Frankfurt am Main nach Tel Aviv, ihre gesamte Familie wurde in der Shoah ermordet. Avi Primor war als Diplomat in der Elfenbeinküste, in Benin, in Frankreich und in Brüssel als israelischer Botschafter bei der EU, in Belgien und Luxemburg tätig. 2004 gründete er das trilaterale Zentrum für Europäische Studien am Interdisciplinary Center Herzliya in Israel, einen Studiengang für israelische, palästinensische und jordanische Studenten. 2015 erschien seine Autobiographie "Nichts ist jemals vollendet". Sein jüngstes Buch heißt "Bedrohtes Israel. Ein Land im Ausnahmezustand" (beide Quadriga Verlag).
Joschka Fischer, geboren 1948 in Gerabronn, war von 1998 bis 2005 Bundesaußenminister und Vizekanzler in der Regierung von Gerhard Schröder. Er war maßgeblich engagiert in der Studentenbewegung und trat 1982 der Partei "Die Grünen" bei. Fischer war hessischer Staatsminister für Umwelt und Energie und erstes Kabinettsmitglied der Grünen. Mit Fischer als Bundesaußenminister wurden erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Bodentruppen in einem Krieg eingesetzt, 1999 im Kosovokrieg. Ab 2001/2002 beteiligte sich die Bundeswehr am Krieg in Afghanistan. Jedoch weigerte sich die Bundesregierung 2003, den Irakkrieg der USA zu unterstützen. 2006 legte Fischer sein Bundestagsmandat nieder und zog sich aus der Politik zurück. Er ist heute mit "Joschka Fischer Consulting" als Berater und Buchautor tätig. Sein jüngstes Buch "Zeitenbruch. Klimawandel und die Neuausrichtung der Weltpolitik" erschien 2022 (Kiepenheuer & Witsch).