Kyiv: Ukraine Flagge im Hintergrund zwischen zwei zerstörten Häusern © picture alliance / AA | Oleksii Chumachenko
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Die Debatte mit Natascha Freundel, Sabine Adler und Viktor Jerofejew - Die Ukraine, Russland und wir – wie weiter?

"Wir stecken in einer metaphysischen Sackgasse." Viktor Jerofejew

Bald haben wir den zweiten Jahrestag der russischen Großinvasion in die Ukraine, ein Ende des Kriegs ist nicht absehbar. Aus diesem Anlass wiederholen wir die Debatte mit dem russischen Schriftsteller Viktor Jerofejew und der Osteuropa-Expertin Sabine Adler. Eine Debatte, die vor einem Jahr viele, auch empörte Hörerreaktionen auslöste: Anti-Russische Propaganda war dabei der härteste Vorwurf. Aber Viktor Jerofejews Gedanken, seine fatalistische Perspektive auf Russland sind ebenso bemerkenswert wie Sabine Adlers scharfe Reaktionen.

Viktor Jerofejew wurde von Irina Bondas ins Deutsche übersetzt.

Wiederholung vom 12. Januar 2023.

Wir befinden uns heute in einer metaphysischen Sackgasse mit diesem Krieg. Die Frage ist größer und komplexer als eine politische oder militärische Frage. Es ist nicht einmal nur eine zivilisatorische Sackgasse, sondern eben eine metaphysische: Wenn zwei Seiten glauben, dass das Licht gegen die Finsternis kämpft und beide Seiten sich im Recht wähnen, dann entsteht so eine metaphysische Sackgasse.

Viktor Jerofejew

Dieses wahnsinnig düstere Bild, das Sie von Ihrem Land zeichnen - damit können die jungen Leute in Russland nicht leben! Das wäre wirklich der komplette Wahnsinn. Das ist ein Fatalismus ohne jede Hoffnung, und ich bin wirklich froh über jeden Russen und über jede Russin, die nicht so fatalistisch auf das Land guckt. Das finde ich zu düster, und ich wehre mich dagegen, und ich bin wirklich sehr, sehr, sehr dafür, dass wir Auswege zeigen, über Auswege nachdenken - und bei allem vielleicht sogar manchmal die Realität dafür auch ein bisschen schönreden.

Sabine Adler
Sabine Adler (© Natascha Zivadinovic-Janker) und Viktor Jerofejew (© Julia von Vietinghoff)
Sabine Adler und Viktor Jerofejew | Bild: Natascha Zivadinovic-Janker | Julia von Vietinghoff

Gäste

Sabine Adler, geboren 1963 in Zörbig, ist Leiterin des Reporterpools für Osteuropa für die drei Programme des Deutschlandradios. Sie berichtete fünf Jahre als Korrespondentin aus Moskau, war Leiterin des DLF-Hauptstadtstudios in Berlin und Korrespondentin im Studio Warschau mit Schwerpunkt Polen, Belarus, baltische Länder und Ukraine. Sie schrieb u.a. "Ich sollte als Schwarze Witwe sterben" über tschetschenische Selbstmordattentäterinnen (DVA 2005). Im Aufbau Verlag veröffentlichte sie "Russisches Roulette. Ein Land riskiert seine Zukunft" (2011) und 2022 "Die Ukraine und wir. Deutschlands Versagen und die Lehren für die Zukunft". Im Februar 2024 erscheint ihr neues Buch "Was wird aus Russland" bei Ch. Links.

Viktor Jerofejew, 1947 in Moskau geboren, wurde weltweit bekannt durch seinen 1989 erschienenen und in 27 Sprachen übersetzten Roman "Die Moskauer Schönheit". 1979 wurde er wegen seiner Beteiligung am Literaturalmanach "Metropol" vom Schriftstellerverband der UdSSR ausgeschlossen. Er ist Herausgeber der ersten russischen Nabokov-Ausgabe und schreibt regelmäßig für die New York Times Book Review, DIE ZEIT, die FAZ , DIE WELT und mare. Zu seinen jüngsten Büchern gehört "Enzyklopädie der russischen Seele" (Matthes & Seitz 2021). Nach Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine floh Jerofejew im Frühjahr 2022 mit seiner Familie aus Moskau über das Baltikum nach Deutschland. In Berlin veröffentlichte er seinen Roman "Der große Gopnik" (Matthes & Seitz 2023).

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Hier wird nicht nur debattiert, hier wird auch zusammen nachgedacht. Über alles, was unser Miteinander betrifft. Bildung, Digitalisierung, Demokratie, Einsamkeit, Freiheit, Klima, Kultur, Städtebau, Visionen - die Themen liegen in der Luft, nicht erst, aber besonders deutlich seit der Corona-Pandemie. Jede Folge widmet sich einer Frage unserer Zeit. radio3-Redakteurin Natascha Freundel spricht jeweils mit zwei Gästen, die wissen, wovon sie reden. Philosophisch, aber nie abgehoben. Persönlich, aber nicht privat. Kritisch und konstruktiv. Hier soll es nicht knallen, sondern knistern. Immer auf der Suche nach dem zweiten, neuen Gedanken.