Teilnehmer mit Schild "Nie wieder Faschismus! AfD-Verbot jetzt! Demokratie verteidigen!" bei der Demonstration "Demokratie verteidigen", welche innerhalb kürzester Zeit durch ein breites Bündnis von Fridays for Future und anderen NGOs organisiert wurde. © picture alliance/ PIC ONE/ Ben Kriemann
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Die Debatte mit Natascha Freundel, Ronen Steinke und Christian Waldhoff - AfD-Verbot - Mit Recht gegen Rechtsextreme?

"Es ist dringend geboten." (Ronen Steinke)

Unser 75jähriges Grundgesetz wird gerade wieder genauer gelesen, auch Art. 21 Abs. 2: "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig." Was bedeutet dieser Satz für die politische Praxis, vor allem im Umgang mit der AfD? In den Umfragen vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg liegt die Partei weit vorn. Die sogenannte "Remigration" ist eines ihrer Kernthemen. Wie konkret solche Pläne zur Ausweisung auch "nicht-assimilierter deutscher Staatsbürger" werden können, hat kürzlich das Recherchezentrum Correctiv aufgedeckt. Seither sind Tausende gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen, und viele fragen sich: Muss die AfD verboten werden?

"Ein Verbot ist überfällig", sagt der Jurist und SZ-Journalist Ronen Steinke. Der Staatsrechtler Christian Waldhoff bleibt skeptisch: "Das AfD Parteiprogramm enthält sogar Bekenntnisse zum Grundgesetz."

Es sieht zunehmend danach aus, dass die AfD auf Gewalt setzt, wenn sie von 'Remigration' spricht. Zumindest einige von ihnen. Das ist keine freundliche Einladung, ob man vielleicht woanders hinziehen möchte. Sondern das heißt, gewaltsam weggezerrt, in ein Flugzeug geführt, im Zweifel geprügelt und aus dem Land geschmissen zu werden. Das ist eine Drohgebärde, die sollte man nicht kleinreden. Und wenn man eine politische Kraft hat, die auf solche Methodik beginnt zu setzen, dann sind wir gut beraten, auch mal über Notwehr nachzudenken. Ein Verbotsverfahren in aller juristischen Ruhe und in aller Nüchternheit und auch Ergebnisoffenheit ist dringend geboten, glaube ich.

Ronen Steinke

Wenn man eine Partei hat, die beginnt, Leuten die Rechte abzuerkennen, wegen deren Herkunft, dann ist das nicht mehr demokratisch. Also wenn 'Remigration" so gemeint ist, wäre das klar verfassungsfeindlich. Das geht auch aus dem NPD-Urteil hervor. Ein Problem ist aber, dass das Parteiprogramm der AfD sich über Strecken wie ein Bekenntnis zum Grundgesetz liest. Das NPD-Parteiprogramm liest sich über Strecken wie das NSDAP-Parteiprogramm von 1920. Das ist ein Riesenunterschied zur AfD. Aus deren Parteiprogramm könnte man für ein Verbotsverfahren fast nichts saugen.

Christian Waldhoff
Ronen Steinke (© Thomas Ernst) und Christian Waldhoff (© privat)
Ronen Steinke und Christian WaldhoffBild: Thomas Ernst || privat

Gäste

Ronen Steinke, geboren 1983 in Erlangen, ist rechtspolitischer Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin, Dozent an der deutschen Richterakademie und Sachbuchautor. Er studierte Jura in Hamburg und Tokio und promovierte über Kriegsverbrechertribunale seit 1945. Sein Buch "Fritz Bauer. Oder: Auschwitz vor Gericht" (2013) wurde preisgekrönt verfilmt und in viele Sprachen übersetzt. 2017 erschien seine Recherche über den ägyptischen Arzt Mohamed Helmy: "Der Muslim und die Jüdin. Die Geschichte einer Rettung in Berlin". 2020 erschienen von ihm "Terror gegen Juden" und "Antisemitismus in der Sprache". In 2Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich" (2022) kritisierte er eine "neue Klassenjustiz" in Deutschland. Sein Buch "Verfassungsschutz. Wie der Geheimdienst Politik macht" (2023) fasst intensive Recherchen u.a. zu Hans-Georg Maaßen zusammen. Im April 2024 erscheint von ihm und Nora Markard: "Jura not alone. 12 Ermutigungen, die Welt mit den Mitteln des Rechts zu verändern".

Christian Waldhoff, geboren 1965 in Paderborn, ist Professor für Öffentliches Recht und Finanzrecht an der Humboldt-Universität Berlin. Er studierte in Bayreth, Fribourg und München und promovierte mit einer Arbeit über "Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich Deutschland–Schweiz". Er habilitierte sich 2002 in München. Ab 2003 war er Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Universität Bonn sowie Direktor des Instituts für Kirchenrecht. Zu seinen zahlreichen Büchern gehören "Recht und Konfession" (2016) und mit Horst Dreier: "Das Wagnis der Demokratie. Eine Anatomie der Weimarer Reichsverfassung" (2018). Mit Christoph Möllers war Waldhoff Bevollmächtigter des Bundesrats im NPD-Verbotsverfahren sowie im Ausschlussverfahren der Partei "Die Heimat", ehemals NPD, von der staatlichen Parteienfinanzierung.