Staatsoper Unter den Linden | Norma | Chor © Bernd Uhlig
Bernd Uhlig
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Staatsoper Unter den Linden - "Norma"

Bewertung:

"Norma" entspricht ganz und gar nicht der Norm, wie es der Name vermuten ließe. Denn die gallische Druidenpriesterin hat zwei Kinder mit einem Römer - und gegen die begehren die Gallier auf. Vincenzo Bellinis tragische Oper aus dem Jahr 1831 hat gestern in einer Neuinszenierung in der Staatsoper Unter den Linden Premiere gefeiert.

Aus der Balance geraten

Ob die Berliner Festtags-Premiere mit dem Erfolg der ursprünglichen Produktion am Theater an der Wien mithalten könne, das war die große Frage. Mehr als das: Es war fraglich, da wir uns in Berlin in fast allen Positionen mit der schwächeren Besetzung abfinden müssen. Bei dem Werk, schon beim letzten Versuch vor 25 Jahren ein Reinfall, handelt es sich noch dazu um eine berüchtigte Steh-Oper – ein über dreistündiges "Stehrumchen". So viel steht fest: Die Produktion hat sich auf ihrem Weg von Wien nicht zu ihrem Vorteil verändert. Schon die Backstein-Industriehalle, in die wir blicken, erinnert bei uns an das Radialsystem am Ostbahnhof. Dies sind so Fallstricke der "Co-Produktionitis", wenn Inszenierungen an Orte transferiert werden, an denen sie nichts zu suchen haben.

Staatsoper Unter den Linden | Norma | Rachel Willis-Sørensen (Norma), Dmitry Korchak (Pollione) © Bernd Uhlig
Bild: Bernd Uhlig

Politisierte Handlung

Regisseur Vasily Barkhatov vermeidet immerhin das Rumstehen, indem er die Darsteller sich auch mal setzen lässt. Das Eifersuchts- und Betrugsschicksal einer gallischen Druidenpriesterin verlegt er in eine Keramikfabrik zu Zeiten der Revolution. Die Handlung wird politisiert; allerdings schnurrt die Handlung trotz Pseudoaktualisierung ab wie immer. Richtig überzeugend war dieser Aspekt schon in Wien nicht. Jetzt ist zudem die Besetzung aus der Balance geraten.

Rachel Willis-Sørensen

In Wien war Asmik Grigorian in der Titelrolle eine umjubelte Norma. Die amerikanische Sopranistin Rachel Willis-Sørensen, im grauen Filzhabit, ist eine viel massivere Erscheinung, und erinnerte mich eher an Therese Giehse in "Mädchen in Uniform". Sie singt mit betörend irisierendem, fast zittrigem Vibrato, technisch meist sehr souverän. Als Norma ist sie eine zu unspezifisch internationale, absolut unitalienische Allzweckwaffe.

Auch passt sie mit dem Rest der Besetzung nicht gut zusammen. Bei "Norma" gibt es ja immer zwei Möglichkeiten: Entweder man besetzt die Titelrolle mit einem Mezzo-Sopran und ihre Rivalin Adalgisa mit einem Sopran (wie bei der Uraufführung). Oder umgekehrt, so wie das bei Maria Callas der Fall war. Hier hat man zwei Soprane nebeneinander. Denn auch Elmina Hasan verfügt über ein helles Sopran-Timbre. Man kann die Damen stimmlich kaum unterscheiden. Hinzu kommt das knetbar weiche Metall im gleichfalls hellen Tenor von Dmitry Korchak. Und schon hängt alles Bassgewitter an dem auf verlorenem Posten agierenden Riccardo Fassi (als Oroveso). Viel zu einfarbig, das alles.

Staatsoper Unter den Linden | Norma | Maria Kokareva (Clotilde), Dmitry Korchak (Pollione), Rachel Willis-Sørensen (Norma), Chor © Bernd Uhlig
Bild: Bernd Uhlig

Fazit

Dirigent Francesco Lanzillotta, in Berlin wenig bekannt, war früher Musikdirektor in Macerata. Und er soll nun, bei dieser Festtags-Premiere, Daniel Barenboim ersetzen?! Absurd. Lanzillotta quirlt und girlandisiert etwas tempounschlüssig in der Partitur herum. Die Staatskapelle ist ein großartiges Orchester, hat das Idiom aber nicht im kleinen Finger. Kurz: Intendantin Elisabeth Sobotka fügt ihren anfänglichen Missgriffen mindestens einen halben hinzu. Mich jedenfalls hat der ganze Abend irgendwie nicht erreicht. Und man tappt damit in genau jene Falle, die man bei "Norma" vermeiden muss.

Kai Luehrs-Kaiser, radio3