Staatstheater Cottbus - "Mit Herz und Verstand" - Dreiteiliger Ballettabend
Leidenschaft, Temperament und mediterranes Flair sollte es am Wochenende im Staatstheater Cottbus geben. So wurde die Premiere des Cottbusser Ballettensembles angekündigt. "Mit Herz und Verstand" heißt der neue Ballettabend mit Choreografien von Cayetano Soto und Mauro Bigonzetti - der eine aus Spanien, der andere aus Italien.

Cayetano Soto, Jahrgang 1975, findet in seinen Stücken fast immer einen ironischen Zugang und so auch im Titelstück des Cottbusser Abends: "Conrazoncorazon" - "Mit Verstand und Herz". Die Tänzerinnen und Tänzer sind im Prinzip zweigeteilt: oben graues Hemd, grauer Schlips, schwarzer Hut und unten lange schwarze Kniestrümpfe, was sie etwas kindlich wirken lässt - und vor allem sehr enge, sehr kurze graue Höschen, die Hüfte und Po übermäßig betonen.
Schwingende Hüften, wackelnde Pobacken – Posse und Comedy
Das Wackeln mit dem Po, das Ausstellen, Schwingen, Rollen, Kreisen der Hüften - übrigens bei den Herren viel deutlicher als bei den Damen - sind ein wesentliches Stilelement in dieser Choreografie. Die Hüften schwingen, während die Köpfe zur Seite und nach hinten kippen, die Münder offen stehen, die Arme weit nach hinten getreckt sind oder bei weit gespreizten Beinen und flatternden Armen und Händen oder beim Hüpfen und Stolzieren mit durchgedrückten Knien wie im übertriebenen Catwalk. Das ist ziemlich camp und queer und als Posse und Travestie nicht ganz ernst gemeint. Das ist Comedy, ein lustiger und guter Auftakt für diesen Abend am Staatstheater Cottbus.
"Sortijas": Herzschmerz-Lied von Lhasa de Sela
In "Conrazoncorazon" gibt es viel Unterhaltungsmusik, vor allem Chanson, im zweiten Stück von Cayetano Soto, dem hochdramatischen, sehr kurzen Stück "Sortijas" ("Ringe") gibt es nur ein einziges Lied: einen melodramatischen Herzschmerz-Song von Lhasa de Sela: "What Kind of Heart".

Ein Lied, das tatsächlich das Herz wild schlagen lässt und zu dem Cayetano Soto ein hinreißendes Duo choreografiert hat. Mann und Frau, die alles tun, um zueinander zu kommen und beieinander zu bleiben: sie sehnen, strecken, dehnen sich, sie umkreisen und umwinden sich. Sie wollen und wollen und es klappt doch nicht, alles ist vergebens. Das Schicksal ist gegen sie. Das ist ein hochintensives Mini-Drama, ein Seufzer- und Schluchzerstück.
Drama und Comedy von Cayetano Soto, dem vielfach ausgezeichneten, in unserer Region nicht so bekannten Choreografen. Beides sind ältere Stücke, für Cottbus neu einstudiert und nach diesem Gastspiel und der begeisterten Publikumsreaktion wird er bestimmt wieder eingeladen, wenn er als Vielgebuchter denn die Zeit dafür findet.
Mauro Bigonzetti: Erinnerung an Berlin in "Caravaggio"
Der zweite Choreograf dieses Abends, Mauro Bigonzetti, wurde vom Cottbusser Publikum geradezu gefeiert. Bigonzetti ist kein Unbekannter in Brandenburg und Berlin – er hat u.a. für das Staatsballett choreografiert, den "Caravaggio"-Abend, vor vielen Jahren, aber vielleicht noch in Erinnerung, weil dieser Abend Pathos pur geboten hatte.
"Cantata": Lebensfreud, Lebensleid und Italien-Klischees
Für Cottbus hat Mauro Bigonzetti eines seiner alten Stücke reaktiviert: "Cantata". Und das ist Lebensfreud und Lebensleid pur. Bigonzetti, 1960 in Rom geboren, hat recht klischeehaft vermeintlich italienische Lebensart choreografiert. Es geht laut und hektisch zu, es wird gerufen, geschrien, debattiert, gelacht und natürlich mit den Händen gefuchtelt. Bigonzetti frönt völlig ungefiltert und ohne Skepsis den Italien-Klischees, wodurch dieses Stück etwas antiquiert wirkt, noch dazu im Vergleich zu den eher genderoffenen, eher queeren Stücken von Cayetano Soto.

Pizzica-Tradition – Gesang und Tanz
Aber Mauro Bigonzetti weiß genau, was er tut. Er nutzt die Pizzica-Tradition – eine alte Volkstanz-Tradition aus dem Salento, dem Stiefelhacken Italiens, eine Tradition, die dort noch gepflegt wird. Bigonzetti inszeniert das als Balztanz: Damen und Herren balzen umeinander, die Herren führen Scharmützel-Konkurrenz-Tänze auf, die Damen lassen die langen Röcke fliegen und die langen Haare flattern, sie wirbeln in Kreisen, werfen die Glieder. Es gibt Klatsch-Stampf-Hüpf-und-Reigen-Tänze, es wird gemeckert, palavert, gestritten, dem Wahnsinn gefrönt und alles ist überdreht gefühlsbetont.
Vordergründige Klischeebilder
Die Damen sind stark, leidenschaftlich, dramatisch, voller Liebe und Kraft, die Herren umkreisen sie mit schmachtenden Blicken und Körpern – dazu gibt es den traditionellen Gesang und traditionelle Instrumente, vor allem Tambourin, Akkordeon, Mandoline. Das sind Klischeebilder vom prallen, satten Liebes- und Alltagsleben in Italien. Mauro Bigonzettit ist völlig schmerzlos und schamlos, das ist eigentlich unfassbar vordergründiger heterosexueller Mainstream und eine derart unkritische Wiedergabe von Stereotypen, dass man nur mit dem Kopf schütteln kann.
Aber es funktioniert hervorragend und macht Spaß, wegen Pizzica-Musik und -Tanz und weil sich die Tänzerinnen und Tänzer des Cottbusser Balletts voller Leidenschaft in Tanz und Musik hineinwerfen und übrigens auch überraschend schön singen können. Das Publikum war hingerissen und hat ausgiebig gejubelt. Dieser Abend sollte ein Erfolg für das Cottbusser Ballett werden.
Frank Schmid, radio3