Drei Solo-Stücke beim Festival der jungen Tanzkunst - Tanztage Berlin 2025
In den Sophiensaelen in Berlin-Mitte läuft derzeit das Tanztage-Festival, das Berliner Festival für die jungen Tanzkünstler:innen, die hier in der Regel ihre ersten Stücke zeigen, sich oft erstmals vor großem Publikum präsentieren. An diesem Wochenende gab es drei Tanzstücke zu sehen, drei Solo-Stücke – eine Konsequenz der Berliner Haushaltssperre im Herbst: das Festival-Budget musste um die Hälfte gekürzt werden und so gibt es nun ausschließlich kostengünstigere Solostücke beim Festival.
In allen drei Stücken ging es um unser Leben in der Krisen- und Informationsüberflutungswelt, es ging um Ängste und Selbstverlust, um Identitätsprobleme und um Träume, um ein Abdriften in Phantasiewelten. Alle drei Stücke sind von einer jeweils sehr eigenwilligen Ästhetik geprägt.
Eskapismus in "Lurker" von Hanako Hayakawa
Eskapismus ist ein Thema bei der jungen japanischen Tänzerin Hanako Hayakawa. "Lurker" heißt ihr Stück und Lurker sind im Internetjargon Personen, die passiv sind, die in Chatgruppen nur lesen, nicht aktiv teilnehmen. Und so schleicht Hayakawa ängstlich-verdruckst, in zaghaften Seitwärtsbewegungen auf die Bühne. Ihr Gesicht ist hinter einer Maske verborgen, ihr Körper in einem voluminösen grau-schwarzen Fell – sie sieht aus wie ein Yeti. Und sie bleibt im Verborgenen, im Versteck, auch später ohne Maske, wenn sie Grimassen zieht wie ein kokettes Schmollmund-Mädchen, wenn sie armfuchtelnd tanzt wie im japanischen Para-Para-Disco-Tanz mit simplen Seitwärts-Schritten und wedelnden Armen.
Auch im Tanz versteckt sie sich, wird nicht kenntlich – wer diese Figur wirklich ist, bleibt unklar. Sie ist pure Fantasy wie im Manga-Comic und da passt es, dass irgendwann ein ferngesteuerter Luftballon hereinschwebt, der wie Nemo aussieht, der kleine Clownfisch. Es gibt viel Stille und Leerlauf, unnötige Leerstellen in diesem Stück, das wunderlich sein will, mit einer innerlich leeren Figur, die unbedingt gemocht werden will.
Eine Vagabundin: "Daybreak" von Shade Théret
Innere Leere ist ein wiederkehrendes Thema bei den drei Stücken an diesem Tanztage-Wochenende. So auch bei Shade Théret, der jungen Tänzerin aus den USA. Sie gibt in "Daybreak" eine antriebslose, im sinnlosen Leerlauf schlingernde Vagabundin, die erst Ewigkeiten auf dem Sofa herumhängt und in den Fernseher starrt, in dem sie nur sich selbst sieht und die dann irritierend bedeutungslos vor sich hin tanzt. Sie stolziert in Über-Kreuz-Schritten, wühlt in ihren langen Haaren oder schleudert sie herum wie auch ihre Arme und Beine. Eine desaströse Existenz, angetrieben von Überdruss und Langeweile, was zu Körperzittern führt, in Agonie oder Hysterie, in übertriebenen Showtanz am Ende.
Das ist eine Figur, die als sexy wahrgenommen werden möchte, immerhin tritt Shade Théret in knappem Top auf, bauchfrei, ein weißes Spitzenhöschen über schwarzen Leggins und betont im Tanz v.a. die Athletik - eine widersprüchliche, unklar entworfene Figur. Die eigentlich interessante Idee, von einer Vagabundin zu erzählen, die sich der kapitalistischen Verwertungslogik und aller Verantwortung entzieht, wird nicht wirklich entwickelt – ein schwaches Stück.
Rückzug in eine Traumwelt: "intermission" von vAL
Der komplette Rückzug in eine Traumwelt war schließlich bei Corey Scott-Gilbert zu sehen, dem Amerikaner in Berlin, ein früherer Ballett-Tänzer, der sich jetzt vAL nennt. Er begibt sich in seinem Stück "intermission" konsequent in eine Traumwelt, in der er wie ein Gulliver-Riese auf einer kleinen Insel-Fels-Landschaft liegt oder haltlos im Kreis rennend an den Wänden des Saals entlangtrudelt. Scott-Gilbert enthüllt Fotografien von schwarzen Männern, die wie Leichenfotos aussehen und erzählt von einem Freund, den er im Traum getroffen hat, der vermutlich schon lange tot ist. Dabei klappert er vor Angst mit den Zähnen, rollt die Augen, stößt Angstschreie aus – das sind keine schönen Träume. Scott-Gilbert zeigt einen völligen Selbstverlust, ohne Chance auf ein Wiederfinden oder darauf, das eigene Ich sinnvoll wieder zusammensetzen zu können.
Bei diesem Stück ist der Tanz reizvoll, vAL lässt seinen Körper in Verknotungen schlingern, wird zum bebenden Monster, das seine Bewegungen aus sich herauswürgen, aus dem Körper herauswringen muss. Der Tanz ist das Spannendste an diesem Stück, das an vielen Stellen kolossal zu lang ist.
Überlänge – Ideen übereizt
Überlänge ist typisch für alle drei Stücke an diesem Wochenende. Typisch ist auch, dass jeweils eine kleine Idee, eine Mini-Ausgangsidee völlig überdehnt, aufgeblasen wird, was aber nicht über 40, 50, 60 Minuten trägt. Drei sehr eigenwillige Ästhetiken in drei allerdings schwachen Stücken, leider ein langweiliger Tanztage-Abende.
Frank Schmid, radio3