Schaubühne: Ex © Gianmarco Bresadola
Gianmarco Bresadola
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Schaubühne am Lehniner Platz - "Ex" von Marius von Mayenburg

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6,3 Millionen Menschen waren 2023 in Deutschland geschieden, verfügen demnach über Ex-Partner und -Partnerinnen. Und dass es mit denen nicht immer leicht ist, zeigen Rosenkriege wie man sie von Brad Pitt und Angelina Jolie sowohl in der Realität als auch aus dem Film "Mr. And Mrs. Smith" kennt. Ob es in der Schaubühne am Lehniner Platz auch so angriffslustig zugeht, weiß Barbara Behrendt. Sie war gestern bei der Premiere des neuen Stückes "Ex" dabei, in dem eine Ex-Freundin einfach bei ihrem inzwischen neu liierten Ex-Freund vor der Tür steht.

Daniel kommt müde von der Arbeit nach Hause. "Hast du etwas gekocht?", fragt er seine Frau Sibylle, die auf der Couch gerade Bildungsfernsehen anschaut - erschöpft vom Tag mit den beiden Kindern. Sibylle antwortet: "Ich habe keinen Hunger."

Es ist völlig offensichtlich, wie beide versuchen, Mann-Frau-Klischees zu vermeiden: Er frage ja nur, er mache das schon selbst, es hätte ja sein können. Und sie: Bloß kein Entgegenkommen, die Reste der Kinder sind noch da, stehen auf dem Balkon.

Wie das Ehepaar extrem passiv-aggressiv aneinander vorbeiredet, muss die Haare jeder Paartherapeutin zu Berge stehen lassen. Sibylle kann gar nicht anders als zu meckern und Daniel aus jedem Satz einen Strick zu drehen. Daniel weicht aus, druckst herum, entschuldigt sich, wird tausendfach zurechtgewiesen: "Dir tut was leid? Etwas tut dir ein Leid an, wer tut dir denn das Leid an, ich etwa?"

Wohnzimmerschlacht, Zickenkrieg, Lebensabrechnung

Kein Wunder, dass Daniel bei dieser Furie von Ehefrau nicht sofort damit herausrückt, wer das eben am Telefon war: Franziska, seine Ex-Freundin, seine große Liebe, die er für Sibylle damals verlassen hat. Franziska steht auf der Straße, sie hat gerade ihren Freund verlassen und braucht einen Schlafplatz. Daniel wimmelt sie ab. Und dann steht sie plötzlich doch vor der Tür - und die Wohnzimmerschlacht, der Zickenkrieg, die Lebensabrechnung kann beginnen.

Der Theaterautor Marius von Mayenburg ist bekannt für seine schrillen Komödien, die er dann in eigener Regie gern noch schriller inszeniert. In den letzten Jahren hat sich Mayenburg aber etwas vom grellen Komödienfach entfernt und sich dem psychologischen Kammerspiel in minimaler Besetzung zugewandt. Und so ist es auch in seinem neuen Stück "Ex", das er jetzt in eigener Regie an der Berliner Schaubühne zum ersten Mal auf Deutsch zeigt.

Es ist eines von drei neuen Stücken von Mayenburg, die inhaltlich und formal große Ähnlichkeiten haben. Alles Kammerspiele, die bei Paaren zuhause spielen, im privatesten Raum. Alle kehren sie klassische Rollenzuschreibungen ein Stück weit um. In "Ellen Babić", zu sehen am Berliner Ensemble, ist es eine Frau, die ihre Macht sexuell missbraucht. In "Egal" ist es eine Frau, die auf Geschäftsreise geht, während der Mann zuhause bleibt.

In "Ex" ist es nun Sibylle, die ihren Mann schließlich verprügelt. Und das kommentiert sie mit: "Bist du zufrieden? Dass du es geschafft hast? Dass du mich so weit gebracht hast?" Ein Moment, in dem es still wird im Publikum.

Klassen- und Bildungsunterschiede

Im Zentrum steht allerdings die Frage, wie sehr Klassen- und Bildungsunterschiede über unsere Partnerwahl entscheiden. Denn Daniel ist Architekt, Sibylle ist Ärztin. Franziska dagegen arbeitet in der Zoohandlung - schon immer. Und weil Sibylle sieht, wie stark die sexuelle Anziehung zwischen Daniel und Franziska noch immer ist, knallt sie Franziska schließlich brutal vor die Füße, warum Daniel sie damals verlassen hat: Weil sie ihm zu peinlich gewesen sei.

"Die meisten Menschen halten Hunde für die besseren Menschen, haben keine akademische Bildung und hängen vermutlich fasziniert an deinen Lippen, während du ihnen einen Hamster oder eine Schlange in den Karton mit Luftlöchern packst, und bewundern dich vielleicht sogar für deine kitschigen Ansichten über das, was du Kosmos nennst", sagt Sibylle. Und weiter: "Aber zu diesen Menschen gehört Daniel nicht, und wird auch nie zu ihnen gehören, genauso wenig, wie du jemals in der Lage sein wirst, mit Professor Rissmann beispielsweise, eine Konversation zu führen, bei der sich der arme Mann nicht fragt, wer um Himmels willen dich mit auf die Party geschleppt hat."

Als Regisseur hält sich Marius von Mayenburg hier ausnahmsweise zurück. Es gibt keine grellen Regieeinfälle. Nur eine schicke braune Ledercouch steht im Halbrund auf der Bühne, davor ein kleiner Spielzeugdinosaurier, der schon zu Beginn das Sofa symbolträchtig attackiert. Es ist die minimalistische Wohnung von Gutverdienern. Ein bisschen leise Musik, ein paar Großaufnahmen der Gesichter, ansonsten konzentriert sich Mayenburg ganz auf sein Ensemble.

Starke Überkonstruktion nimmt dem Stück die Kraft - trotz hochtouriger Schauspielleistung

Marie Burchard (als Furie Sibylle), Eva Meckbach und Sebastian Schwarz spielen mit großer Freude am Exzess: hochtourig, pointiert, aber auch mal erschütternd, wenn Sebastian Schwarz als geprügelter Hund auf der Couch in sich zusammenfällt.

Doch die psychologische Feinzeichnung kann nicht ganz gelingen, da die Figuren selbst so überzeichnet sind. Ihre starke Überkonstruktion nimmt dem Stück seine Kraft. Die Ex, die plötzlich auf der Couch sitzt, als sei Daniel der einzige Mensch auf der Welt. Die schreckliche Ehefrau, die dem Mann an die Gurgel geht. Der verdruckste Ehemann, der sich plötzlich in einem aufwallenden Monolog so präzise selbst reflektiert, dass man sich fragt, warum er nach wie vor in dieser schauerhaften Beziehung verharrt.

Der Weisheit letzter Schluss?

Auch die künstlich verkehrte Beziehungskonstruktion wirft Fragen auf: Ja, es gibt Frauen, die Männer prügeln - allerdings ist es zu 80 Prozent eben umgekehrt. Braucht es diese gruselige Frauenfigur auf der Bühne gerade wirklich? Braucht es den Zickenkrieg, der hier so hemmungslos abgefeiert wird?

Zwar führt der Abend bitterkomisch, unterhaltsam und pointiert vor, in welche Fallen man gerät, wenn man sein Leben nach den gesellschaftlichen Erwartungen ausrichtet. Das ist weit verbreitet, schließlich sind die Ehen zwischen Menschen aus ganz unterschiedlichen sozialen und intellektuellen Schichten selten.

Doch so einseitig furchtbar wie diese Figuren ist nun wirklich niemand. Dagegen sieht es doch bei uns zu Hause noch ganz gut aus, mag man sich am Ende denken. Ob das der Weisheit letzter Schluss ist?

Barbara Behrendt, radio3

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