BERLINER ENSEMBLE: "Heroes" Alexander Scheer singt David Bowie (Quelle: BE/Just Loomis)
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Berliner Ensemble - "Heroes" - Alexander Scheer singt David Bowie

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Wenn David Bowie auf Tour ging, reiste er stets mit seiner mobilen Bibliothek. Bis zu 1.500 Bücher fanden darin Platz. Alexander Scheer, der die Theaterbühnen und Kinoleinwände immer wieder mit großen Rollen gefüllt hat, geht mit seiner Band auf literarisch-musikalische Spurensuche von David Bowie. Gestern hatte der "Heroes"-Abend Premiere am Berliner Ensemble.

Ein zwei Meter großes Monstrum steht in der Bühnenmitte – sieht aus wie ein gigantischer Instrumentenkasten. Alexander Scheer erklimmt ihn, tanzt darauf, spielt die erste Nummer. Als er den Koffer öffnet, offenbaren sich: ein Spiegel, eine Garderobenstange – und jede Menge Bücher. Es ist, erklärt Scheer, David Bowies mobile Bibliothek.

"Der Mann war eine Leseratte. In diesem Koffer hatten bis zu 1.500 Bücher Platz und auf Reisen musste ihm immer jemand das Ding ins Zimmer schleppen."

BERLINER ENSEMBLE: "Heroes" Alexander Scheer singt David Bowie (Quelle: BE/Just Loomis)
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Durch Bowies Bibliothek

Für den Abend "Heroes – Alexander Scheer singt David Bowie" wurde der Original-Koffer aus der Schweiz ans Berliner Ensemble geholt und bildet nun das Herzstück des Konzerts. Und den eigentlichen Clou. Während über der Bühne die Buch-Cover eingeblendet werden, liest Alexander Scheer Mini-Ausschnitte daraus.

Steffen Sünkel, der den Abend konzipiert hat, hat dafür aus David Bowies 100 Lieblingsbüchern jene ausgesucht, die mit Berlin zu tun haben. Christa Wolf mit "Nachdenken über Christa T.", Alfred Döblin mit "Berlin Alexanderplatz" und der britisch-amerikanische Autor Christopher Isherwood mit seinen "Berlin Stories". Darüber hinaus finden aber auch James Baldwin, Dante, Fren Lebowitz und Anthony Burgess‘ "Clockwork Orange" Eingang ins Konzert. Zur Inspiration hat das BE Bowies Liste mit seinen 100 Lieblingsbüchern übrigens online veröffentlicht.

Textschnipsel, Anekdoten - und im Zentrum die Musik

Auf der Theaterbühne verwebt Alexander Scheer nun die Musik mit der Literatur. Wenn er Bowies Berlin-Hommage "Where are we now" singt, erscheinen auf der Leinwand über der Bühne historische Berlin-Bilder aus den 1920er Jahren über den Mauerfall bis heute – und mitten im Song liest Scheer ein paar Sätze Christa Wolf, während die Musiker leise weiterspielen. "Rebel Rebel" wird, das passt gut, mit einer Szene aus "Clockwork Orange" gekoppelt. Später erfährt man, woher die Delfine im Berlin-Song "Heroes" kommen: "I wish you could swim like dolphins could swim" – nämlich aus Bowies Lieblingsbuch "Das Mädchen auf dem Delfin" vom sizilianischen Arzt Alberto Denti di Pirajno, eine erotische Fabel.

Allerdings darf man sich das nicht als tiefgreifendes Ausloten der Verbindung von Musik und Literatur vorstellen. Inwiefern Christa Wolf nun tatsächlich Bowies Musik beeinflusst hat? Wer weiß. Die Texte werden eher assoziativ in kleinen Schnipseln neben die Musik gestreut, dazu gibt’s ein paar Anekdoten. Im Zentrum steht, natürlich, die Musik.

Alexander Scheer gibt einen ungeheuer guten Bowie ab

Die alles entscheidenden Frage ist selbstredend: Kann Alexander Scheer David Bowie singen? Ja, er kann, und zwar ungeheuer gut. Das ist nicht allzu überraschend, hat er doch schon in Andreas Dresens Film den "Gundermann" betörend gespielt und gesungen (Dresen saß bei der Bowie-Premiere im Publikum, auch Leander Haußmann und Heike Makatsch waren da) und stand zudem in Hamburg in David Bowies Musical "Lazarus" auf der Bühne.

Keine Kopie - trotz Ähnlichkeiten

Aber es ist nicht nur die Stimme, es ist vor allem seine Haltung: Scheer zitiert Bowie zwar, auch in Posen und Kostümen: Mal ist das ein Kimono (bei "China Girl"), dann ein 1920er-Jahre-Outfit, zuletzt dann ein knallgelber Anzug mit Hut – kennt man alles von Bowie. Und mit seiner schmalen Statur und dem zurückgegelten Haar sieht Scheer ihm tatsächlich ähnlich. Doch er kopiert ihn nicht. Scheer feiert seine tiefen Klangfarben und macht eigene Interpretation mit der vierköpfigen (sehr guten) Band aus den Songs. Zudem ist Scheer eine Rampensau im besten Sinne, tanzt elektrisiert über die Bühne, erzählt Anekdoten über Iggy Pop und David Bowie auf Ausflügen in Ost-Berlin, feuert das Publikum an.

Ein BE-Hit!

Ein Abend, der auch die betagten und wenig Bowie-sozialisierten Zuschauer:innen im Publikum mitreißt – bei der Zugabe "Let’s Dance" wird die Hüfte zur großen Party geschwungen. Doch die meisten Leute kennen natürlich die großen Hits von "Ashes to Ashes" über "China Girl" und "Life on Mars". Auch der "Alabama Song" von Kurt Weill ist dabei, klar, wir sind schließlich am Berliner Ensemble.

Dass der Abend ausschließlich die großen Gassenhauer abfeiert, ist zwar schade. Man hätte sich auch eine Berlin-Hommage vorstellen können, die sich mehr an Bowies Berlin-Alben orientiert. Dafür erzählt Alexander Scheer kleine "Bowie in Berlin"-Geschichten, etwa über dessen Logenplatz am BE, seine Besuche der "Dreigroschenoper", seine Abende im legendären Restaurant "Ganymed" nebenan.

Dazu werden Fotos aus Bowies Berlin-Zeit eingeblendet, der Comic-Autor Reinhard Kleist, der eine Graphic Novel über David Bowie veröffentlicht hat, zeichnet live ein paar Impressionen. Über das Erwartbare geht das inhaltlich kaum hinaus. Doch mit dem furiosen Entertainer Alexander Scheer, der Bowie stimmlich unbedingt gewachsen ist, wird ein hochtouriger und gut gelaunter BE-Hit daraus. Beste Unterhaltung.

Barbara Behrendt, radio3

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