HAU: Ôss vom Ensemble "Dançando com a Diferença" aus Portugal; © Laurent Philippe
Laurent Philippe
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Eröffnung "No Limits"-Festival - Marlene Monteiro Freitas & Dançando com a Diferença: "ÔSS"

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"No Limits", so heißt das Berliner Festival, das mittlerweile bedeutendste Festival für inklusives Theater in Deutschland. Die bereits 11. Ausgabe wurde gestern Abend im Berliner Hebbel am Ufer eröffnet.

Das Stück für die Eröffnung der Choreographin Marlene Monteiro Freitas für die Compagnie "Dançando com a Diferença", ungefähr übersetzt bedeutet das "Tanzen mit der Andersheit, mit dem Anderssein, mit der Differenz".

Marlene Monteiro Freitas

Marlene Monteiro Freitas stammt von den Kapverden, lebt und arbeitet in Portugal und gehört zu den berühmtesten Künstlerinnen der Performance-Kunst, wobei ihre Bühnenkunst alles ist: Tanz, Theater, Musiktheater, Performance, Show, manchmal auch Bildende Kunst – eine oft verrückte Mischung. Sie war ein paarmal in Berlin, letztes Jahr beim Tanz im August mit einem sehr schrägen Stück über das Böse schlechthin.

Dançando com a Diferença

"Dançando com a Diferença" ist eine Company von der Insel Madeira, gegründet vor etwas mehr als 20 Jahren, eine Company für Menschen mit und ohne Behinderung, eine Company, die schon mit etlichen berühmten Choreographen gearbeitet hat, Paulo Ribeiro, Rui Horta oder La Ribot und die Maßstäbe setzt, weil sie mit ihren Stücken weit über sogenanntes typisches inklusives Theater hinausgeht.

Lauter Spielverrückte – Das Narrenschiff

In diesem Stück "ÔSS", was so viel wie Knochen bedeutet, treffen lauter Spielverrückte aufeinander, in einem irrlichternden Spektakel mit lauter Verrückten in einem irren, verrückten Spiel. Freitas spielt hier mit der Idee des Narrenschiffes – seit dem Spät-Mittelalter bekannt, ursprünglich mal ein satirischer Roman, im frühen 16. Jahrhundert ein Bestseller in Europa. Im Roman werden die Narren auf ein Schiff verfrachtet und dann sich selbst überlassen. Freitas spielt nun durch, was so alles auf diesem Schiff passieren würde. Die Bühne sieht tatsächlich nach einer Schiffsbrücke aus, könnte allerdings auch ein Krankenhaus-OP-Saal oder ein Fitness-Studio sein.

Techno, Oper, Heavy Metal – Hintertriebenes Theater-Drama

Auf dieser Bühne gibt es eine lange Techno-Musik-Szene, in der der DJ das Publikum zum Mit-Jubeln animiert und eine sehr lange Opern-Musik-Szene, vermutlich Richard Wagner "Der Fliegende Holländer" und auch dazu gibt es vom DJ und Solo-Tänzer mit Trisomie 21 Sportübungen, Animationen, Macho-Geturne und Schattenboxen. Popkultur und Hochkultur werden gleichermaßen auf die Schippe genommen.

Es gibt eine sehr lange Geburtsszene mit viel Geschrei, allerdings ohne Baby. Und eine sehr lange Klageszene - der Schiffs-Stewart mit dem weißen Rock ist gestorben, erlebt aber seine Wiederauferstehung, in dem er wie ein Untoter einen Heavy-Metal-Monster-Rock-Song brüllt. Die Performer verwandeln sich in Fabelwesen mit grünen Rüsseln, halten unverständliche Reden in unverständlichem Kauderwelsch, wobei sie Verzweiflung, Wut, Angst herausschreien, um gleich danach ein sanftes Schmuse-Tänzchen hinzulegen oder in einer Feiertagsprozession über die Bühne zu zuckeln oder in ihren Fitness-Klamotten rumzuspringen, ohne behaupten zu wollen, sie würden hier Sport treiben.

Es gibt hier das ganz große Theaterdrama und völlig krude Alltagsszenen und alles wird hintertrieben-mehrfachbödig gespielt.

HAU: Ôss vom Ensemble "Dançando com a Diferença" aus Portugal; © Laurent Philippe
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Grotesk, grell überzeichnet – Tollhaus-Theater

Marlene Monteiro Freitas spielt das Narrenschiff-Spiel und wie so oft in ihren Stücken führt sie alles: Szenen, Bilder, Körpersprache in die Groteske, ins Grell Überzeichnete, ins opulent-übertriebene Dramatische. Als gelte das Motto: Wenn ihr uns zu Verrückten erklärt, dann verhalten wir uns halt mal so.

Auf der Bühne sind fast ausschließlich Performer:innen, die in irgendeiner Form beeinträchtigt sind, die von einer Mehrheit als außerhalb der vermeintlichen körperlichen und sozialen Normen lebend verstanden werden und die uns hier voller Vergnügen ein Panoptikum des grellen chaotischen Irrsinns präsentieren und ganz nebenbei die Idee des "Verrücktseins", des Nicht-den-Normen-Entsprechens zurückweisen.

Das ist Tollhaus-Theater außerhalb der Normen: Hier geht es nicht um Sinnhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit, sondern um pure Spiellust.

Performerinnen und Performer in freier Spiellust

Und das mit Performern, die völlig frei und ungehemmt sind, die sich zeigen, wer und wie sie sind, mit ihren Körpern, Gesichtern, Stimmen – völlig selbstbewusst und lustbetont. Sie alle haben hier ziemlich viel Spaß und lassen es krachen.

Inklusives Theater der Gegenwart

Und damit ist dieses Stück genau dort, wo das sogenannte inklusive Theater in der Gegenwart steht, auch die Berliner Theatergruppen, das Theater Thikwa oder Rambazamba. Es geht nicht mehr um Theater als therapeutische Maßnahme oder um ein Zusammenbringen von Menschen mit und ohne Behinderung, es geht um Kunst und Künstlerinnen und Künstler. Das ist auch die zentrale Idee des No-Limits-Festivals, das dank Marlene Monteiro Freitas einen exzessiven Auftakt erlebt hat, mitunter irritierend-rätselhaft und ziemlich karnevalesk.

Ein starker Auftakt für das Festival, bei dem in den nächsten Tagen mit Claire Cunningham und Sidi Larbi Cherkaoui noch einige großartige Künstler ihre neuen Stücke zeigen werden.

Frank Schmid, radio3

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