Hans Otto Theater: "Mein Kampf" von George Tabori mit Joachim Berger (o.) und Kristin Muthwill © Thomas M. Jauk
Thomas M. Jauk
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Hans Otto Theater - "Mein Kampf" von George Tabori

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Dem Vernichtungswahn der Nazis konnte der 1914 in Budapest geborene jüdische Autor und Theatermacher George Tabori entkommen, indem er über England in die USA emigrierte. In den 1970er Jahren kehrte er nach Europa zurück und wurde durch seine absurd-komischen Stücke und Inszenierungen zur lebenden Theaterlegende. Am Potsdamer Hans Otto Theater inszeniert Intendantin Bettina Jahnke ein Stück, mit dem George Tabori 1987 am Wiener Akademietheater für viel Wirbel sorgte: Denn "Mein Kampf" macht aus Hitler und seiner antisemitischen Kampfschrift eine grelle Farce.

Das funktioniert, weil Tabori reale Abgründe in surreale Fantasien verwandelt, kalauernd vorführt, wie dünn das Eis der Zivilisation, wie leicht der Mensch verführbar ist. Tabori benutzt politischen Humor als Waffe im Überlebenskampf: Als jemand, dessen Familie im Holocaust umkam, darf er sich lustig machen über die Blödheit der Menschen, die an die Propaganda des Teufels glauben oder meinen, man könne dem Dämon mit Vernunft oder gar mit Kunst beikommen. Wenn Tabori sich über Hitler lustig macht und seine Farce "Mein Kampf" nennt, ist das Lachen ein Akt der Befreiung und Aufklärung, wir erkennen, wohin es führt, wenn ein sozial deklassierter, größenwahnsinniger Möchtegern-Künstler, den keine Kunstakademie aufnehmen will, sich in die Politik verirrt und auf seinem Weg in den Wahnsinn von niemandem aufgehalten wird. Schon gar nicht vom jüdischen Buchhändler Schlomo Herzl, der dem in einem Wiener Männerwohnheim gestrandeten und vor Kälte schotternden Adolf Hitler Liebe und einen Mantel schenkt und durch seine väterliche Fürsorge mit dazu beiträgt, dass aus dem Brausekopf ein Monster wird.

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Schluss mit lustig

Schlomo Herzl wird zum satirischen Doppelgänger von Theodor Herzl, dem Vater des modernen Zionismus und Mitbegründer des Staates Israel, der sich absurde Wort-Duelle mit Lobkowitz liefert, einem arbeitslosen jüdischen Koch, der sich in sanfter Verrücktheit für Gott hält. Buchhändler Schlomo, der die Bibel genauso verhökert wie das Kamasutra, schreibt an einer Autobiografie mit dem Titel "Mein Kampf". Das weckt Hitlers Neugier: Den tollen Titel würde der gescheiterte Künstler und aufstrebende Politiker gern für seine eigenen Zwecke benutzen, dafür ist ihm jedes Mittel recht. Auch Mord und Terror. Aber bevor Hitler zum Fanatiker wird, ist er ein Muttersöhnchen, weint sich bei Schlomo aus und wird mütterlich verhätschelt und getröstet, wenn er von der Akademie abgelehnt und von "Gretchen", einem stolzen blonden Mädchen, als unmännlich verschmäht wird. Herzl rettet seinen Schützling vor Madame la Mort, der zynischen und lasterhaften Frau Tod, die die Männer zum Tanz aufforderst und zu Tode küsst und in Hitler einen "Würgeengel" und ein "Naturtalent" erkennt. Aber irgendwann ist Schluss mit lustig: Gottesersatz Lobkowitz wird von Judenhassern verprügelt und Hitler zwingt zusammen mit Nazi-Kumpel Himmlisch (ein Schelm, wer dabei an den fiesen Himmler denkt) seinen Beschützer, endlich "Mein Kampf" herauszurücken, könnte ja was drinstehen, was seiner Karriere als Menschenfischer und Massenmörder im Weg steht.

Die Welt am Abgrund

Regisseurin Bettina Jahnke bleibt erstaunlich nah am originalen Text, streicht nur ein paar Randfiguren und ein paar literarische Anspielungen und historische Verweise, die heute nicht mehr so leicht verständlich sind und einer näheren Erklärung bedürften. Die Welt steht, gestern wie heute, am Abgrund. Die Bühne ist eine ins Publikum hineinragende wacklige Schräge, die bedrohlich kippelt, alles gerät ständig außer Kontrolle, jeder verliert die Balance. Keiner ist seiner Sache sicher und keiner weiß, was die Zukunft bringt.

Auch die Rollen und Geschlechter purzeln munter durcheinander: Kristin Muthwill spielt einen androgynen Hitler, der sich wie ein kleines Kind aufführt, ein AHDS-Zappelphilipp, der schnell aggressiv wird und antisemitische Gemeinplätze als billige Sonderangebote verscherbelt, ein selbstverliebter Schnösel, der sich an seiner eigenen Rhetorik berauscht und mit rollendem R, stolz empor gerecktem Kinn und wild herum fuchtelnden Händen zu einer Karikatur der Karikatur von Hitler mutiert. Franziska Melzer ist ein mit Stoffballen zum erotischen Wonneproppen ausstaffiertes Gretchen, das dem sexuell verklemmten Hitler das Fürchten lehrt und feuchte Träume beschert. Henning Strübbe ist keine elegant tänzelnde, sondern eine in Frauenkleidern gezwängter spießiger Buchhalter des Todes, der mit Hitlers Hilfe auf reiche Beute hofft, mit ihm den Beginn einer langen Freundschaft feiert und Herzl sein baldiges Ableben ankündigt. Joachim Berger muss als Schlomo Herzl ertragen, dass der zum Wüterich werdende Hitler über seinem Kopf ekelhafte Kübel stinkendem Kots ausschüttet und sich über den naiven Juden lustig macht, der nicht erkennt, was für eine giftige Natter er an seiner liebenden Brust groß gezogen hat. Das einzige, was ihm bleibt, wenn Hitler mit Frau Tod von dannen ziehen, um die Welt in Schutt und Asche zu legen, sind die alten Geschichten und traurigen Witze, die er dem blutig geschlagenen Lobkowitz, verkörpert von einem kauzigen Jörg Dathe, erzählen kann: Wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie vielleicht noch heute.

Ein zeitlos aktuelles Lehrstück

Rechtspopulismus, Antisemitismus und Judenhass machen sich wieder überall breit: Bettina Jahnke versucht dem etwas entgegenzusetzen, indem sie Taboris grelle Farce, die das Lachen als seelische Hygiene benutzt, um sich vom Bösen zu reinigen und nach dem Zusammenbruch der Zivilisation und Millionen von Toten weiterleben zu können, in ein zeitlos aktuelles Lehrstück über die zerstörerischen Gefahren verwandelt, die von Brandstiftern ausgehen, wenn man sie verharmlost und mit liebevollem Verständnis zu besänftigen versucht, statt sie wirkungsvoll zu bekämpfen.

Um uns den Abgrund zu zeigen, auf den wir gerade zusteuern, schraubt Bettina Jahnke den Humor herunter, unterlegt die grotesken Witze mit beklemmender Ernsthaftigkeit. Das Lachen hat etwas Verzweifeltes, die Zeit der ausgelassene Blödelei ist vorbei.

Das tut weh. Man schleicht ziemlich benommen aus dem Theater.

Frank Dietschreit, radio3

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