Uferstudios - Tanzcompagnie Rubato: "Polarisierung und Empathie"
Wie gehen wir als Individuen und als Gesellschaft mit den zunehmenden Krisenerlebnissen unserer Zeit um, mit den Kriegen in der Ukraine und Nahost, mit dem Klimawandel und seinen Folgen, mit dem Wissen über Millionen Menschen in Not und auf der Flucht? Die Berliner Tanzcompany Rubato beschäftigt sich in ihrem neuen Tanzstück mit zwei Reaktionsmöglichkeiten: mit Polarisierung und Empathie. So heißt auch ihr neues Stück, das gestern Abend in den Uferstudios Premiere hatte.
Verschärfung und Lagerbildung im Meinungsstreit oder Verständnis für alles und jeden? Sind das die einzigen Alternativen unserer Verhaltensmöglichkeiten in zunehmend überfordernden Zeiten?
Verschärfung oder Verständnis – ein Hühnerhaufen
Zu Beginn gehen die Rubatos, also Jutta Hell und Dieter Baumann, ihre Themen ganz konkret an, in erzählerischen, kuriosen, fast albernen Szenen. Die Rubatos waren vor allem in den 90er Jahren auch für ihren schrägen, schwarzen Humor bekannt, der in den letzten Jahren etwas gefehlt hat und in diesem Stück wieder zurück ist – wenn die sieben Tänzer, drei Frauen, vier Männer aufgeregt über die Bühne hoppeln wie ein gackernder Hühnerhaufen, wenn der Fuchs sich anschleicht.
Später weiten die Rubatos den Blick, widmen sich den Themen, die sie seit fast 40 Jahren, seit der Gründung der Company 1985 immer wieder aufgreifen, der Frage etwa, wie wir Menschen miteinander umgehen und was das über uns und unsere Gesellschaft aussagt.
Plappern und Plärren
Das Abbild unserer Gesellschaft zu Beginn dieses Stückes ist kurios und bitter. Die sieben Tänzer trippeln, hopsen und hüpfen durcheinander, die Köpfe rucken hin und her, jeder läuft den anderen in die Quere. Sie sind überdreht und ratlos und sie plappern herum, in Phantasiesprachen, eigentlich nur Phantasielauten, ein Plapperlärm, der nach Überforderung klingt. Niemand kommuniziert hier wirklich mit jemand anderem – sie plappern und plärren und der Lärm nimmt zu und schwillt ab und plötzlich wird geschrien, was nach Angst und Wut klingt und das Plapper-Gacker-Gehopse nur noch beschleunigt.
Nicht ganz bei Sinnen
Sie sind nicht mehr ganz bei Sinnen. Alles scheint ihnen zu viel zu sein in ihrer haltlosen Aufregung, in der sie gar nicht mehr adäquat aufnahme- oder reaktionsfähig sind. Die Krisen unserer Zeit und die Dichte der Krisenereignisse haben sie kopflos werden lassen. Das ist lustig anzuschauen, aber auch ein bitterer Befund zu unserer gegenwärtigen Gemütsverfassung.
Polarisierung – Gegner und Feinde
Zu dieser Überforderung kommt nun als eine Reaktion die Polarisierung im Schreien, Wüten und Anfauchen und im Ausgrenzen, wenn ein Tänzer aus der aufgeregten Gruppe rausgeschubst wird, wenn er zu Boden stürzt, sich vor der Gruppe schützen muss. Es entstehen Unversöhnlichkeiten, Verschärfungen und Verhärtungen in den Körpern und Bewegungen.
Polarisierung kann grundsätzlich zu größerer Klarheit bei Themen führen, hier scheint es aber kaum noch gemäßigte Positionen zu geben. Die Aufspaltung in Lager wirkt extrem und das erinnert sehr an die Anfeindungen, wie wir sie derzeit z.B. bei politischen Debatten erleben oder beim Hating in den sozialen Medien – als gebe es überall nur noch Gegner und Feinde.
Empathie – Einfühlung und Verführbarkeit
Empathie wird hier naheliegend als Einfühlungsvermögen, als Mit- und Nachempfinden sichtbar, es gibt Szenen von Trost, Zärtlichkeit und Hilfe. Aber auch Szenen, in denen über Emotionen auch Manipulation gelingt: wenn alle nachahmen, was andere vorführen. Empathie kann auch Verführbarkeit bedeuten – im Extremfall marschieren dann alle wie hier im Gleichschritt.
Jutta Hell und Dieter Baumann setzen Polarisierung und Empathie nicht als simples Gegensatz-Paar – das eine ist so wichtig und komplex wie das andere. Und sie weiten im Verlauf ihres Stückes zunehmend den Blick, konzentrieren sich auf individuelle und soziale Beziehungen.
Wie Beziehungen entstehen, sich verändern
Die Rubatos haben sich in ihren Tanzstücken der letzten Jahre mit Hoffnung und Sehnsucht beschäftigt oder ausgehend von der Corona-Pandemie mit Alleinsein und Einsamkeit. Sie haben Phänomene von Intimität und Fremdheit oder von Protest und Rebellion aufgegriffen und immer wieder Ausdrucksformen gesucht für Unsicherheit und Instabilität, für Veränderung und mögliche Reaktionen auf Veränderung. In diesem Stück geht es ihnen nun um die Frage, wie Beziehungen entstehen, sich verändern, entwickeln, wie Neues entsteht – was ohne Empathie nicht geht, aber ohne Polarisierung, verstanden als Klarheit, auch nicht.
Abstrakt, konkret, sinnlich und mit viel Komik
Diese Fragen und Themen sind klar gesetzt und werden konsequent verfolgt, ohne sich mit erstbesten Antworten zufrieden zu geben Die sieben Tänzerinnen und Tänzer bilden ein heterogenes Ensemble, sind völlig verschiedene Charaktere und können deswegen Funken schlagen aus all den Begegnungssituationen. Wie auch der DJ an seinem Schlagzeug Funken schlägt, einen wilden Sound kreiert, mit Synthesizer und Soundloops und mit gezupfter und gestrichener und elektronisch verstärkter Geige.
Jutta Hell und Dieter Baumann ist es wieder gelungen, ihre Themen im Tanz, in der Bewegung sowohl abstrakt, als auch konkret und sinnlich und diesmal auch wieder mit viel Komik zu erzählen. Man geht ein bisschen angeschickert und nachdenklich raus.
Frank Schmid, radio3