DT Kammer - "Die Gehaltserhöhung"
Miete, Lebensmittel, Tickets für Bahn und Bus, Kosten für Reisen, Freizeit und Kultur: Alles wird teurer. Eine Gehaltserhöhung würde helfen. Aber wie kann ich meinen Chef überzeugen, meine Arbeit besser zu entlohnen oder wenigstens einen fetten Bonus herauszurücken? Darüber dachte auch schon vor über 50 Jahren der französische Autor Georges Perec in seinem Theaterstück "Die Gehaltserhöhung" nach. Uraufgeführt wurde es 1970 in Paris. Jetzt hat Anita Vulesica das zeitlose-aktuelle Stück in der Kammer des Deutschen Theaters auf die Bühne gebracht.
Georges Perec ist hierzulande eher ein unbeschriebenes literarisches Blatt, allenfalls Eingeweihten bekannt, die sich für Sprach- und Klang-Experimente begeistern und für die Absurditäten und die surrealen Momente des Lebens. In Frankreich ist Perec dagegen berühmt, er gehörte zu den Gründern einer Gruppe von Autoren, die sich "Werkstatt für potentielle Literatur" nannte und das kreative Potenzial von formalen Zwängen ausloten wollte, sich nicht für psychologische Figurenzeichnung und einfühlsames Erzählen interessierte, sondern für die Kombination von Sprachelementen, Wortvariationen und Buchstaben-Verballhornungen. In einem seiner Prosatexte hat Perec vollständig auf den Vokal "E" verzichtet, in einem anderen hat er nur das "E" verwendet und alle anderen Vokale entfernt. Er hat einen Brief-Roman verfasst, den man komplett rückwärts lesen kann.
Das Theaterstück basiert auf einem seiner Prosatexte mit dem Titel: "Über die Kunst, seinen Chef anzusprechen und ihn um eine Gehaltserhöhung zu bitten." Und genau darum geht es jetzt auf der Bühne: Was muss ich alles bedenken und vorausplanen, wenn ich meinen Chef überzeugen will, mir mehr Lohn zu zahlen? Wie mache ich aus dieser kommunikativen Sisyphusarbeit ein rhetorisches Kunstwerk, ein sprachliches Experiment und wortwitziges Vergnügen, dem sich niemand entziehen kann, weder der Chef – noch der Zuschauer dieses hirnrissig-komischen Bühnenspektakels?
Albtraum ohne Entrinnen
Ein namenloser Niemand, ein Jedermann nimmt allen Mut zusammen, schleicht durch die Flure seines namenlosen Unternehmens und nähert sich dem Büro seines namenlosen Abteilungsleiters: Namen sind Schall und Rauch, die Sache, um die es geht, ist überall gleich. Überall fühlt sich jemand ausgenutzt und unterbezahlt und möchte besser entlohnt werden. Überall gibt es jemanden, der genau das verhindern will, der seine Untergebenen mit Floskeln und Phrasen abspeist, auf die Krise der Wirtschaft und die Risiken des Unternehmens im globalen Markt verweist, die Mitarbeiter auf später vertröstet und sie wieder zurückscheucht an ihren Arbeitsplatz.
Natürlich weiß das auch der um eine Gehaltserhöhung bittende Mitarbeiter. Er denkt im Voraus über Möglichkeiten des Gesprächsverlaufs und Reaktionen des Chefs nach – und verzettelt und verliert sich dann im Gewirr der Alternativen. Gleich sechs verschiedene Stimmen wüten im Kopf des Mitarbeiters, der sich unzählige Male dem Büro des Chefs nähert: Drei Frauen und drei Männer bilden das Stimmen- und Gefühls-Chaos ab. Mal sprechen sie im schwitzenden, flehenden, weinenden Chor, mal verhaspeln sie sich allein in einer absurden Partitur aus Sprachfetzen und Wortkaskaden und würgen einen grotesken Buchstabensalat heraus.
Unermüdlich exerzieren die sechs Sprachmutanten in immer neuen Variationen durch, was alles geschehen könnte: Wird der Chef im Büro sein und "herein" rufen? Wird er mich anhören oder wieder heraus komplementieren? Sollte ich vorher mit Jolande, der Sekretärin, ein Schwätzchen halten und die Stimmung ausloten? Was mache ich, wenn weder der Chef noch die Sekretärin an ihrem Platz sind? Es ist ein sprachlicher und gefühlsmäßiger Albtraum, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Herrlicher und geistreicher Blödsinn
Die Regisseurin verlegt das Sprachexperiment in ein Sprachlabor. Alles ist klinisch steril. Manchmal öffnen sich wie von Geisterhand Türen und verspiegelte Räume, in denen sich der sechsfach verwirrte Gehaltsempfänger weiter vervielfachen und unzählige neue Möglichkeiten des Gesprächsverlaufs ausprobieren kann.
Anita Vulesica hat auch schon beim absurden Klassiker "Die kahle Sängerin" Regie geführt und bei der "Ursonate" als Schauspielerin für kuriose Momente gesorgt. Jetzt dreht sie weiter an der Spirale der Verrücktheiten und schenkt dem Abteilungsleiter und der Sekretärin, die ja eigentlich nur im Kopf und als Stimmen des Mitarbeiters existieren, ein Bühnen-Eigenleben.
Jolande, die zarte Sekretärin, ist jetzt ein stämmiger Mann in Frauenkleidern und trägt eine rosafarbene Perücke, die gelegentlich Feuer fängt und Rauchfahnen absondert. Sie/er hockt in einem Cockpit an einem Mischpult, kommentiert ironisch den Wortsalat und erzeugt dabei verzerrte Ton-Collagen und zirpende Klangwolken.
Der Chef ist jetzt eine feingliedrige und schmallippige Frau in einem viel zu weiten Anzug, der/die gelegentlich auf ihrem Bürostuhl über die Bühne schwebt und dem sechsfachen Lohnempfänger mal Honig um den Bart schmiert, mal schurigelt und schnöde abfertigt. Und dann ist da auch noch ein Papierkorb, der sich selbständig macht, durch die Flure tänzelt und den überall herumliegenden Sprachmüll einsammelt: ein herrlicher und geistreicher Blödsinn.
Kluger und unterhaltsamer Theaterspaß
Das Premieren-Publikum ist aus dem Häuschen, kichert und lacht, spendet Szenen-Applaus und will alle Akteure zum Schluss gar nicht mehr von der Bühne lassen, trampelt und juchzt vor Freude über einen gelungenen Abend, der voller Musikalität steckt, die Sprache zum Swingen bringt, den Kannibalismus des Konsumkapitalismus auf's Korn nimmt und sich mithilfe der Kunst physisch vollkommen verausgabt.
Auch Theater, lernen wir, ist harte Arbeit, Komik kommt nicht von allein, sondern muss geduldig geprobt und dann punktgenau eingesetzt werden. Derangierte Akteure mit blauen Flecken zeigen uns ihre Wunden und fragen, welchen Wert man Arbeit zumisst und was das Leben wert ist, wenn man keine oder nur eine schlecht bezahlte Arbeit hat.
Ein wirklich kluger und zugleich ungemein unterhaltsamer Theaterspaß.
Frank Dietschreit, radio3