Comic des Monats – April 2024 - Yuval Noah Harari: "Sapiens. Das Spiel der Welten"
Das Sachbuch "Eine kurze Geschichte der Menschheit" von Yuval Harari ist ein Weltbestseller. Weil es unterhaltsam geschrieben ist und weil der Historiker Harari die Geschichte der Menschheit aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven erzählt. Das gab es so vorher noch nicht. Inzwischen hat er sein Buch auch als Comic erzählt. "Sapiens" heißt die Reihe, gerade ist der 3. Band "Das Spiel der Welten" erschienen – der radio3 Comic des Monats im April.
Es geht um Macht in diesem 3. Sapiens-Band. Yuval Harari lässt die Zivilisationen aufeinander knallen und zeigt, wie Zivilisationen untergehen und andere sich durchsetzen. Gerade jene Kulturen, die besonders erbittert dagegen kämpfen, erobert zu werden, werden komplett ausgelöscht.
Und manche Imperien werden gerade deshalb stark, weil sie die Unterlegenen in ihre Gesellschaft integrieren. Also jene Kulturen, die ursprünglich als weniger kultiviert, gebildet und stark betrachtet wurden. Yuval Harari erklärt, wie Machtspiele funktionieren und Strippenzieher Geschichte schreiben.
Dabei diskutiert er, wie sehr die Geschichte tatsächlich von Macht und Stärke abhängt, ob sie zyklisch abläuft, also Kulturen aufsteigen bis zur Höhe ihrer Macht und dann zwangsläufig untergehen. Und er zeigt, dass Geschichte auch vom Zufall abhängt.
Der aktuelle dritte Sapiens-Comic ist eine deutlich eigenständigere Adaption des Sachbuchs "Eine kurze Geschichte der Menschheit" als die beiden ersten Bände. Auch aktuelle Ereignisse, wie der Überfall der Hamas auf Israel werden in den Diskurs integriert. Die Reihe ist inzwischen so erfolgreich, dass Harari die Comics unabhängig weiterentwickelt.
Die Menschheitsgeschichte als Fernsehshow
Yuval Harari schafft es auch im Comic, große Themen der Menschheit unterhaltsam nachvollziehbar zu machen. Im dritten Band versetzt er die Wissenschaftler*innen aus den ersten Bänden als Jury in eine Fernsehshow: einen Theologen, eine Soziologin, eine Biologin und einen Historiker – das ist Yuval Harari höchstselbst.
Die Kandidaten sind Superheld:innen und heißen Mr. Zufall, Lady Empire oder Clashwoman. Jede:r einzelne will gewinnen und versucht die Jury davon zu überzeugen, dass sie oder er die mächtigste Strippenzieherin ist.
Und die Jury diskutiert und ordnet ein. Zum Beispiel die Argumente von Clashwoman, die nahelegt, dass sich die stärkste Kultur durchsetzt, ganz ähnlich wie biologische Spezies sich durchsetzen oder eben aussterben.
Die Biologin kontert, dass unterschiedliche Zivilisationen eben keine Spezies sind und sich untereinander mischen können und miteinander weiterentwickeln – so wie es im Laufe der Geschichte immer wieder passiert ist. Clashwoman wird die Jury am wenigsten überzeugen.
Mit den Mitteln des Fernsehens
Yuval Harari gelingt mit dieser krachend bunten Fernsehshow ungeheuer vielschichtig, die Macht- und Zivilisationsgeschichte der Menschen zu diskutieren. Die Mittel, die üblicherweise in Fernsehshows verwendet werden, helfen dabei. Zum Beispiel, wenn zu Reporter:innen vor Ort geschaltet wird, ins Römische Reich im Jahr 250 unserer Zeitrechnung.
Die Reporterin will wissen, welche Religion zum offiziellen Glauben des Römischen Reichs erhoben wird. Als das Christentum genannt wird, das tatsächlich Staatsreligion wird, winken die römischen Interviewpartner nur lachend ab – so unbedeutend scheint ihnen dieser Glaube. Historische Ereignisse sind eben nur im Nachhinein zwingend, macht Yuval Harari damit deutlich.
Zwischenrufe aus dem Publikum
Anschaulich sind auch die Zwischenrufe aus dem Publikum, als Lady Empire die Bühne betritt. Sie scheint die große Gewinnerin des Abends zu sein. Denn es sind die Imperien, die über Jahrzehnte, mitunter auch Jahrhunderte stabil sind und die unterliegenden Kulturen so sehr integrieren, dass deren Menschen die Werte des Imperiums übernehmen. Dazu gehören Demokratie und Menschenrechte genauso, wie Wirtschaftssysteme und Wissenschaft.
Die empörten Zwischenrufe aus dem Publikum weisen darauf hin, dass Imperien immer wieder die Rechte anderer Kulturen verletzen: das Selbstbestimmungsrecht zum Beispiel oder das Recht auf ein gewaltfreies Leben.
Lady Empire kontert, dass es in der Show nicht um Gerechtigkeit geht, sondern um das erfolgreichste System. Und die Figur des Historikers Harari macht klar, dass vereinnahmte Kulturen nach dem Ende eines Imperiums nicht zu ihren kulturellen Wurzeln zurückkehren.
Anschaulich, vielschichtig und unterhaltsam
Imperiale Strukturen, Zufälle, Religionen oder Wirtschaftssysteme – Yuval Harari diskutiert in diesem Comic mit den Mitteln der Fernsehshow, unter welchen Voraussetzungen Zivilisationen aufsteigen und die Vormacht erlangen. Dabei bewertet die interdisziplinäre Jury die unterschiedlichen Superheld:innen und ihre Ordnungssysteme erstaunlich ähnlich. Lediglich Clashwomen und die mit ihr verbundene rohe Gewalt hat sich in der Menschheitsgeschichte am wenigsten durchgesetzt.
Selten wurde die Geschichte der Zivilisationen so anschaulich, vielschichtig und zugleich unterhaltsam erzählt, wie in dem Comic "Sapiens. Das Spiel der Welten".
Andrea Heinze, radio3