Ika Sperling: Der Große Reset; © Reprodukt
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Comic des Monats – Mai 2024 - Ika Sperling: "Der Große Reset"

Bewertung:

Verschwörungstheorien und ihre Anhänger sind eine Herausforderung für die Gesellschaft – und für ihre Familien. Das zeigt Ika Sperling in ihrem autobiografisch inspirierten Comic "Der große Reset". Darin erzählt sie, wie ein Familienvater sich immer mehr von der Familie entfernt und diese schließlich auseinander brechen lässt. "Der große Reset" ist der radio3 Comic des Monats.

Ika Sperling; © Gregor Stockmann
Bild: Gregor Stockmann

Die Eltern sind in den mittleren Jahren, Ika, das Alter Ego der Comic-Künstlerin kommt vom Studium auf Besuch in die Provinz. Die Schwester holt sie vom Bahnhof ab und es herrscht eine unbehagliche Stimmung. Ika hält sich den Bauch, als wäre ihr schlecht – und sie versucht, ihre Schwester auszufragen, wie der Vater gerade tickt und wie die Mutter damit umgeht. Schon in dieser kurzen Anfangsszene wird klar, dass das vermintes Gebiet ist, dass kaum über die Verschwörungstheorien geredet wird und sie dennoch das bestimmende Thema in der Familie sind.

Der Vater glaubt an eine antisemitische Weltverschwörung, die mit den Corona-Maßnahmen offensichtlich wurde. Und das zerrüttet nicht nur deshalb die Familie, weil sie miteinander um Meinungen streiten – es wird auch existentiell. Denn der Vater will auswandern und hat dafür seinen Job gekündigt und will sein ganzes Hab und Gut verkaufen. Dass die Mutter auch in dem Haus lebt und gerade arbeitslos ist, weil sie während Corona den Job verloren hat, ist ihm völlig egal.

Ika Sperling: "Der große Reset", © Reprodukt
Bild: Reprodukt

Der Vater als leere Hülle

Die Geschichte erzählt Ika Sperling streng aus der Perspektive der Tochter. Es geht ihr nicht darum, eine Erklärung für das Denken und Handeln des Vaters zu finden. Vermutlich geht das auch gar nicht. Stattdessen zeichnet sie auf, wie ihr Vater sich gehen lässt, wie sein Auto und seine Zimmer vermüllen, wie er sich nur noch von Energy-Drinks ernährt und so sehr in seiner Verschwörungstheorie lebt, dass er das Gefühl für sich selbst und seine Familie verliert.

Wie er immer wieder Appelle an seine Familie richtet, dass die sich nicht für dumm verkaufen lassen sollen und zugleich jede wissenschaftliche Argumentation als Unsinn deklariert – sei es die Erklärung für den Klimawandel oder für die Ausbreitung des Corona-Virus.

Für Ika Sperling wird der Vater dadurch immer weniger greifbar. Das zeigt sie, indem sie ihren Vater als eine leere Hülle zeichnet oder wie eine Wasserblase. Und sie zeigt, wie auch sie sich verliert – in einer ähnlichen Wasserblase. Das sind starke Bilder, die Ika Sperling zeichnet.

Ika Sperling: "Der große Reset", © Reprodukt
Bild: Reprodukt

Sprachlosigkeit in der Familie

Der Comic "Der große Reset" ist streng subjektiv und zeigt eine individuelle Geschichte. Ika Sperling zeichnet konsequent den Alltag dieser Familie auf und weitet ausgerechnet dadurch den Blick. Ein Ausflug der Familie zur Kirmes macht klar, wie groß die Angst vor dem Gerede der Menschen im Dorf ist – vor deren Mitleid oder auch deren Verurteilung.

Ika Sperling zeigt, wie Manche ein gutes Geschäft wittern, weil sie das Haus des Vaters preiswert kaufen wollen. Und wie sehr die Gemeinschaft in zwei Teile zerfällt: In diejenigen, die dem Vater auf die Schulter klopfen, weil er in ihren Augen recht hat. Und diejenigen, die fassungslos sind und keine Worte für all die Menschen finden, die nur noch in ihrer Blase leben und nichts anderes gelten lassen als das, was ihren Glauben bestätigt.

Ika Sperling vermittelt, wie sprachlos auch die eigene Familie ist, wie wenig mit dem Vater und miteinander gesprochen wird. Zu groß ist die Angst vor Auseinandersetzungen, die sich nicht lösen lassen. Und dieses Schweigen hat sich so eingeschliffen, dass nicht einmal über konkrete Entscheidungen wie den Haus-Verkauf gesprochen wird.

Mit ihrem Comic verdeutlicht Ika Sperling die Muster, die sich in der Familie ausgebildet haben und die es schwer machen, Lösungen in dieser verfahrenen Situation zu finden. Alle sind auf sich gestellt – der Comic macht deutlich, wie nervenaufreibend und kräftezehrend das ist.

Es gibt keine Antwort auf die Frage, wie man gut mit Verschwörungstheoretikern umgehen kann. Der große Verdienst dieses autobiografischen Comics liegt darin, dass Ika Sperling solche Konstellationen nachvollziehbar und damit diskutabel macht. Das kann der Anfang vom Ende der Sprachlosigkeit sein.

Andrea Heinze, radio3

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