Richard Ford: Valentinstag © Hanser Berlin
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Roman - Richard Ford: "Valentinstag"

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Richard Ford zählt zu den ganz großen US-amerikanischen Schriftstellern der Gegenwart. Immer wieder wird der 1944 in Jackson/Mississippi geborene Autor, der als Chronist der Alltagskultur Amerikas gilt und mit Romanen wie "Der Sportreporter", "Die Lage des Landes" oder "Kanada" viele internationale Erfolge feierte, als Kandidat für den Literatur-Nobelpreis gehandelt. Bekommen hat er ihn bisher nicht. Vielleicht, weil er weiß und alt ist und seine Romanfiguren sich nicht immer politisch korrekt verhalten. Sein neues Buch trägt den Titel "Valentinstag" und beschert uns eine vielleicht letzte Begegnung mit dem unverwüstlichen Sportreporter und Immobilienmakler Frank Bascombe.

Wieder erzählt Frank in einer süffisanten Endlosschleife unzählige herrlich verschrobenen Geschichten aus seinem Leben, das sich jetzt doch - mit Mitte 70 - allmählich dem Ende zuneigt.

Frank Bascombe auf Abschiedstournee

Seit vielen Jahren und in mehreren ziemlich dicken Büchern sind wir neugierig diesem plappernden Sportreporter und profitgierigen Immobilienmakler, wortwitzigen Alltagsphilosophen und meinungsfreudigen Menschenkenner auf seiner Odyssee durch ein von Rassismus und Ungleichheit, industriellem Untergang und politischen Lügen verwüstetes Land gefolgt. Wir haben miterlebt, wie Frank sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf privater Niederlagen und finanzieller Katastrophen herauszog, zwei Ehen in den Sand setzte, drei Kinder zeugte und sich in unzählige Affären verzettelte.

Eigentlich dachten wird, Ford hätte nach den Romanen "Der Sportreporter", "Unabhängigkeitstag" und "Die Lage des Landes" und der Novellen-Sammlung "Frank" seinen grau und müde gewordenen Anti-Helden bereits in Rente geschickt. Doch nun ist er, nach ein paar anderen Ford-Büchern, wieder da und dreht noch einmal eine vielleicht letzte Runde durch ein von bunten Spielhöllen und palastähnlichen Shopping-Malls, riesigen Gesundheitskliniken und muffigen Motels verhunztes Land und geht auf eine von Tod und Trauer gezeichnete Abschiedstournee.

Eine letzte Reise mit dem todkranken Sohn

Ford hat einen Faible für Feiertage und Familienfeste, bei denen in die Vergangenheit geblickt wird und private Konflikte eskalieren: "Der Sportreporter" spielt an einem Osterfest, "Unabhängigkeitstag" natürlich am 4. Juli, "Die Lage des Landes" an Thanksgiving, nur die Novellen-Sammlung "Frank" machte ein Ausnahme und verlegte das Geschehen in die Zeit der Verwüstungen, die der Hurrikan Sandy 2012 anrichtete.

Jetzt begegnen wir den Chronisten des gesellschaftlichen Niedergangs und des verblassenden Amerikanischen Traums am "Valentinstag" des Jahres 2019 wieder. In Begleitung des 74-Jährigen befindet sich sein 47-jähriger Sohn Paul. Frank hat Prostatakrebs und einen Schlaganfall überstanden, laboriert an Schwindelattacken, hat gelegentliche Wortfindungsschwierigkeiten, denkt "in letzter Zeit öfter über das Glück nach" und fragt sich, ob er es je zu fassen bekommt.

Aber im Vergleich zu seinem multi-moribunden Sohn geht es ihm gold: Denn Paul hat gerade eine tödliche Diagnose erhalten: ALS, die degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems, an der man eher früher als später sterben wird. Obwohl Frank seinen verschrobenen Sohn nie besonders gut leiden konnte und auch nie ein guter Vater war, beschließt er spontan, Paul auf seinem Weg in den Tod zu begleiten, mit ihm eine letzte Reise zu unternehmen und gemeinsam einen einigermaßen würdigen Abgang hinzulegen.

Vater-Sohn-Experiment

Zunächst fliegen sie zusammen von der Ostküste nach Minnesota, dort, in der Mayo-Klinik, einer riesigen Gesundheitsfabrik, nimmt Paul einer ALS-Studie teil, doch helfen oder heilen kann man ihn nicht. Um das von allen guten Lebensgeistern verlassene Vater-Sohn-Experiment richtig zu starten, flüchten die beiden aus den Fängen der Ärzte, kapern ein klappriges altes Wohnmobil und machen sich mitten im Winter durch Sturm und Eis, Schnee und Kälte auf zum amerikanischen Allerheiligsten: dem Mount Rushmore in South Dakota.

Bis sie bei den vier monumentalen, in den Stein gesprengten Präsidentenköpfen ankommen, erleben und erleiden sie ihr moralisch verlottertes und vom Konsum zerfressenes Land von allen grotesken Seiten. Sie besuchen einen bizarr aufgedunsenen "Maispalast", der als Shopping-Center dient, verspielen ihr letztes Geld in miesen Spelunken, schwadronieren über Gott und die Welt und beschwören die niemals nachlassende Lust an erotischen Abenteuern.

Großartiges, sinnfreies Palavern

Dabei erweist sich Richard Ford wieder einmal ein Großmeister des sinnfreien Palavers, der es schafft, Martin-Heidegger-Zitate über Sein und Da-Sein, So-Sein und Nicht-Sein mit bitterbösen Beobachtungen und schnippischen Welterkenntnissen zu kombinieren und Frank und Paul in rhetorische Blödeleien und Wortgefechte zu verwickeln, mit denen die beiden ihr verkorkstes Lebten resümieren, sich ihrer verschrobenen Vater-Sohn-Liebe versichern und ihre nackte Angst vorm Sterben grandios übertünchen.

Wenn Paul seinen Vater resignierend fragt: "Ein tolles Leben hab ich nicht hingelegt, oder?", dann antwortet Frank ironisch: "Nein. Aber du hast dich ordentlich geschlagen."

Und wenn Paul augenzwinkernd sagt: "Du bist mein Lieblingsarschloch, Frank. Weißt du das nicht?", kontert Frank: "Nein. Das weiß ich nicht. Freu mich aber, es zu hören."

Richard Ford ist und bleibt der große Alltagsphilosoph der amerikanischen Literatur

Oft weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Als Paul dann endlich mit Gehhilfe und unter großen Schmerzen den Mount Rushmore erklommen hat, stöhnt er angesichts der vier steinernen Köpfe: "Es ist komplett sinnlos und lächerlich, und es ist super." Ja, richtig, denkt Frank: genauso sinnlos, lächerlich und super wie alles andere, das Leben, der Tod, der Valentinstag und die Grußkarten, die man sich gegenseitig schickt. Denn was bedeutet schon das Leben und der Tod? Warum suchen wir immer nach dem großen Glück, statt einfach nur das nächste Unglück zu umschiffen?

Während die anderen Touristen ihre Handys zücken, Selfies machen und die Bilder ihres tristen Daseins in die Welt hinaus schicken, fragt der vom nahenden Tod gezeichnete Paul im eisigen Schneetreiben seinen Vater herausfordernd: "Was machen wir jetzt?"

Eine ganz simple Frage, hinter der sich Abgründe verbergen: Richard Ford ist und bleibt nun einmal der große Alltagsphilosoph der amerikanischen Literatur.

Frank Dietschreit, rbbKultur