Filmdrama mit Corinna Harfouch und Lars Eidinger - "Sterben"
Mit neun Nominierungen für die Lola gilt der Berliner Regisseur Matthias Glasner mit seinem Film "Sterben" als einer der aussichtsreichsten Kandidaten für die Verleihung des Deutschen Filmpreises am 3. Mai. Schon bei der Berlinale dieses Jahr wurde Glasner für das beste Drehbuch ausgezeichnet, heute kommt der Film in die Kinos.
Dass Sterben eben nicht gleich Sterben ist, dass es vielfältige Arten gibt, dass man sterben muss oder auch sterben will, um den Weg dorthin - darum geht es. Schon gleich zu Beginn wird klar: hier wird nicht drumherum geredet, hier wird hingeguckt.
Sterben ist nicht gleich Sterben
Da sitzt Corinna Harfouch als alte Frau im Nachthemd in ihren eigenen Exkrementen auf dem Fußboden ihrer Wohnung, versteht nicht, was passiert ist, während ihr Mann, gespielt von Hans Uwe Bauer, gerade von der Nachbarin nach Hause gebracht wird, mehr oder weniger unbekleidet, völlig orientierungslos.
Das ist der Alltag dieses Paares. Schonungslos auf den Punkt gebracht.
Meisterstück an Schauspielkunst
Sie haben zwei Kinder: Ellen, die mit ihren Eltern wenig bis gar nichts mehr zu tun hat, und Tom – Lars Eidinger. Er wird ab und zu von seiner Mutter angerufen, dann kommt er auch.
Es gibt eine Begegnung zwischen Mutter und Sohn, die so kalt ist, dass es einen friert. Nach der Beerdigung des Vaters sitzen die beiden bei Kaffee und Kuchen und die Mutter erklärt ihrem Sohn nicht nur, wie schwerkrank sie selbst ist, sondern ganz nebenbei auch, dass sie ihn nie wollte, ihn nie geliebt hat und bis heute nichts mit ihm anfangen kann. Der Sohn sitzt vor ihr, mehr oder weniger fassungslos, und glaubt endlich zu verstehen, warum er so ist, wie er ist: als Sohn dieser Frau: egoistisch, beziehungsunfähig, fast gleichgültig in dem Versuch, es immer allen recht zu machen.
Dieser Dialog, der immerhin rund 15 Minuten dauert, ist voller Bitterkeit, und er hat es in sich – er ist die zentrale Szene des Films und ein Meisterstück an Schauspielkunst. Corinna Harfouch zeigt sich alt und vereinsamt, präsent und mutig. Lars Eidinger war vielleicht noch nie so gut vor der Kamera wie hier. In dem Zusammenspiel der beiden entsteht eine Intensität, der man sich kaum entziehen kann, bei der man sich fast schämt, dabei zu sein. Es gibt Szenen wie diese, die man in ihrer Härte nicht mehr vergisst. Es gibt andere, die wiederum unglaublich komisch sind, zum Beispiel wenn die fast blinde Mutter und der demente Vater mit dem Auto nach Hause fahren. Ein super Team.
Autobiografische Züge
Der Film hat autobiografische Züge, Glasner schrieb das Buch nachdem seine Eltern gestorben waren. In dieser Zeit wurde auch seine Tochter geboren, ihr schenkt Matthias Glasner den Anfang des Films: Ein kleines Mädchen, das sehr selbstbewusst auf die Kamera zutritt und uns mit ihren 4, 5 Jahren daran erinnert, das zu tun, was wir möchten, unserem Herzen zu folgen. Und wenn man diese Figuren hier zuschaut, wünscht man ihnen nichts mehr als genau das: zu tun, was sie fühlen. Das Problem nur: sie kommen an ihre Gefühle gar nicht heran.
Glasner erzählt seine Familiengeschichte aus drei Perspektiven: die der Mutter Lissy, die des Sohnes Tom – den man als Alter Ego des Regisseurs bezeichnen kann - und die der Tochter Ellen, eine lebenshungrige alkoholkranke Person - gespielt von Lilith Stangenberg. Hat sie es zur Beerdigung des Vaters nicht geschafft, schafft sie es immerhin zur Premiere ihres Bruders Tom, der das Orchesterstück "Sterben" seines besten Freundes in der Philharmonie dirigiert
Die Figur der Ellen ist die einzige Schwachstelle des Films, was nicht an Lilith Stangenberg liegt, die ja die personifizierte Labilität im deutschen Kino ist: Die Szenen mit ihr grenzen ans Slapstickhafte. Wenn Ellen dafür sorgt, dass das Konzert abgebrochen werden muss oder als Zahnarzthelferin betrunken mit ihrem Chef und Liebhaber (Roland Zehrfeld) über ihre Beziehung diskutiert.
Der Film ist ein Ereignis
Diese – im Gesamtbild zu vernachlässigende – Überdrehtheit geht so gar nicht zusammen mit Glasners Feinsinnigkeit, seinem Humor, seiner schlafwandlerischen Sicherheit mit der er Worte und Bilder für Kälte und Gleichgültigkeit findet und seine Schauspieler zu Hochform auflaufen lässt.
Glasner greift mit seinen Filmen immer schon Tabus auf, findet eine eigene Sprache und vor allem: er hat keine Angst. "Sterben" ist ein Ereignis, ein Film, mit dem sich der Regisseur wieder einmal ganz weit vor wagt.
Christine Deggau, radio3