Filmdrama von Ryusuke Hamaguchi - "Evil Does Not Exist"
2022 war der Film "Drive my Car" von Ryusuke Hamaguchi für vier Oscars nominiert und wurde als bester fremdsprachiger Film auch ausgezeichnet. Im letzten Jahr feierte der neue Film des jungen japanischen Regisseurs auf dem Filmfestival von Venedig Premiere und gewann dort den großen Preis der Jury. Jetzt kommt "Evil does not exist" in unsere Kinos.
Im Kern geht es in "Evil does not exist" um Kapitalismuskritik, um den Gegensatz von Land und Stadt. Vom Leben im Einklang mit der Natur auf der einen und die Ausbeutung der Natur durch den Menschen auf der anderen Seite. Doch das ist viel zu konkret auf eine Formel gebracht, denn der Film entfaltet seine Geschichte auf sehr beherrschte - nein, auf eine ausgesprochen poetische Weise.
Einträchtig verbunden mit der Natur
Es passiert zunächst nicht viel. Es beginnt mit einem langen Spaziergang durch den Wald, betrachtet von unten nach oben, durch winterlich kahle Baumkronen, untermalt von melancholisch-elegischen Musikklängen. Irgendwann sieht man dann ein kleines Mädchen wie Rotkäppchen, allerdings in blauer Jacke, allein durch den Wald laufen. Spätestens als der Vater das Kind viel zu spät von der Schule abholen will und dort erfährt, dass sie allein losgegangen sei, beginnt man um das Leben des Kindes zu fürchten.
Befeuert vom Titel des Films denkt man unweigerlich an einen Krimi. Doch dann ein Schnitt: Vater und Tochter laufen einträchtig zusammen durch den Wald und bestimmen gemeinsam verschiedene Bäume: eine Eiche, eine Kiefer, eine Lärche, eine Bergkirsche … Zwei Menschen bewegen sich sehr bewusst und im Einklang mit der Natur durch die winterlich verschneite Landschaft.
Leere Floskeln gegen gute Argumente
Rehe und Hirsche, heißt es einmal, greifen nur an, wenn sie - in der Regel von Menschen verletzt - angeschossen werden oder wenn sie ihre Kitze verteidigen. Das Böse im Titel kommt in Gestalt des Menschen in diesen Ort, durch zwei Boten einer Firma aus dem nahegelegenen Tokio, die diese abgeschiedene Idylle für den Tourismus erschließen wollen für das neumodische "Glamping" - eine Verbindung von Glamour und Camping, per se schon ein Paradox. Gestresste Großstädter sollen auf superbequeme Weise eine Art Abenteuer erleben.
Um das Projekt in der Gemeinde vorzustellen, gibt es eine Informationsveranstaltung mit zwei Abgesandten der Entwicklungsfirma. Sofort vermutet man, dass die naive Landbevölkerung den Städtern hilflos ausgeliefert ist. Aber ganz im Gegenteil: Diese einfachen Menschen bringen ihre Bedürfnisse so unaufgeregt in sachlichen Worten vor, dass sie den Vertretern des Investors den Wind aus den Segeln nehmen. Hilflos und ziemlich betröppelt können sie die Argumente nur mit leeren Floskeln halbherzig abwehren. Ein bisschen Verschmutzung sei ja nicht so schlimm, meinen sie. Es reiche, wenn die Kläranlage 95 % der Abwässer bereinigt. "Harmonie ist der Schlüssel. Wenn man es übertreibt, stört es das Gleichgewicht", entgegnet der Sprecher der Dorfbewohner.
Musik als Startrampe der Geschichte
Der Film hat eine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte, denn die elegisch-melancholischen Klänge von Eiko Ishibashi, die bereits für den Soundtrack von "Drive my Car" verantwortlich war, sind zugleich Impulsgeber für das ganze Projekt: "Evil does not exist" hat sich an einem Auftrag der Komponistin entzündet: Sie bat den Regisseur, Bilder für eine ihrer Live-Performances zu drehen. Davon ausgehend hat Hamaguchi seinen nach einem lose entwickelten Drehbuch mit vielen Laiendarstellern besetzten Film relativ frei improvisiert.
So spiegeln die melancholisch-sphärischen Klänge, die über den ersten Szenen des Films liegen, den selbstvergessenen Blick eines Kindes, das durch den Wald schlendert. Dazu kommen Naturgeräusche wie das Plätschern von Wasser, das Knacken von Holz, das Zirpen von Insekten, das Zwitschern von Vögeln. Und immer wieder begleiten und tragen sie so einfache wie bedachte Verrichtungen, zum Beispiel wenn der Vater unten am Bach Wasser mit einer Kelle in Kanister füllt oder wenn er vor seinem Haus konzentriert Holz hackt.
Poetische Kapitalismuskritik
"Evil does not exist" entwickelt auf subversive Weise einen poetischen Zauber und ist zugleich sehr viel leiser und zurückgenommener als der mit dem Oscar ausgezeichnete Film "Drive my Car". Im Laufe der Geschichte werden die Angestellten der Tokioter Firma vom Leben im Einklang mit der Natur, das sie eigentlich platt machen sollten, eher verführt als indoktriniert.
Nie wurden Umweltaktivismus und Kapitalismuskritik so sanft und poetisch und gerade deshalb besonders eindringlich serviert.
Anke Sterneborg, radio3