The Quiet Girl © Neue Visionen Filmverleih
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Drama - "The Quiet Girl"

Bewertung:

Der irische Film "The Quiet Girl" von Colm Bairéad feierte seine Premiere im letzten Jahr auf der Berlinale und wurde in der Reihe "Generation Kplus" auch als bester Spielfilm ausgezeichnet. Die Verfilmung einer Kurzgeschichte von Claire Keegan war als erster Film in irischer Sprache auch für den Oscar für den besten ausländischen Film nominiert.

Der Soundtrack von Stephen Rennicks schlägt den melancholisch-ernsten Tonfall des Filmes an und spiegelt zugleich die Seele des titelgebenden Mädchens. Cáit ist ein scheu in sich gekehrtes Kind, dessen Augen Bände sprechen.

Eine kleine Sommergeschichte

In der ersten Einstellung des Films liegt sie allein im hohen Gras, in der Nähe des alten Bauernhauses, in dem sie mit ihrer Familie lebt, mit ihrem Vater, der zu viel trinkt, das ohnehin knappe Geld bei Pferdewetten verspielt und außerdem eine Affäre hat, während seine Frau zum x-ten Mal schwanger ist.

Aus dem düsteren Haus wird ihr Name gerufen - und weil Cáit lange reglos verharrt, fürchtet man einen Moment lang, dass sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Doch mit solchen Dramen hat dieser behutsam sinnliche Film nichts am Hut. "The Quiet Girl" ist die Geschichte eines Sommers im Jahr 1981, in dem die neunjährige Cáit, eines von vielen Kindern einer armen irischen Farmersfamilie, zu entfernten Verwandten gebracht wird.

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Konsequent aus der Perspektive des "leisen Mädchens"

Wortlos steigt das Mädchen ins Auto, klaglos lässt sie sich vom Vater abtransportieren und mit unfreundlichen Worten bei Verwandten abliefern, die sie kaum kennt: "Dann frisst sie jetzt euch die Haare vom Kopf!"

Wahrscheinlich zum ersten Mal in ihrem Leben wird Cáit dort freundlich angesprochen und liebevoll aufgenommen. Wie ein scheues Reh kommt sie im Haushalt des älteren Paares an, wachsam schaut sie sich um, als könnte ihr jederzeit eine Strafe, ein barsches Wort oder eine Ohrfeige drohen. Mit größter Geduld schaut der Film, der konsequent aus der Perspektive des "leisen Mädchens" erzählt ist, dabei zu, wie Cáits Lebensgeister langsam erwachen, wie sie Vertrauen fasst, wie sie unter der liebevollen Zuwendung ihrer Pflegemutter langsam aufblüht.

Catherine Clinch spielt sie in ihrem Schauspieldebüt so minimalisch zurückhaltend, dass man ihr nur umso gebannter zusieht, um seismografisch die leisesten Reaktionen aus ihren klaren blauen Augen, ihrer Mimik, ihrer Körperhaltung abzunehmen.

The Quiet Girl © Neue Visionen Filmverleih
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Verwundete Seelen

Parallel zu dem des Mädchens beginnt ein zweiter Heilungsprozess - für Eibhlíns Mann Sean, der sie zunächst gar nicht beachtet und auch die Vermittlungsversuche seiner Frau ignoriert. Doch bald erkennt er in dem Mädchen eine verwandte verwundete Seele, der er hier und da einen Keks zusteckt, die er in Schutz nimmt:

"Denk daran, Kleine, Du musst nicht reden, das darfst Du nie vergessen, Kind. So viele haben die Gelegenheit verpasst, einfach zu schweigen und deswegen sehr viel verloren."

Dies wiederum lässt sich nicht nur über Menschen, sondern auch über Filme sagen, in denen viel zu oft redundant und geschwätzig auch noch das Alleroffensichtlichste ausgesprochen wird, wenig Raum bleibt für eigene Entdeckungen. Das ist hier anders.

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Schule des Sehens und Hörens

Viel Zeit nimmt sich der Film für die Geräusche der Natur: das Rauschen der Blätter, das Zwitschern der Vögel, das Plätschern des Wassers. Nach mehreren Kurzfilmen, Fernsehserien und einem Dokumentarfilm macht Colm Bairéad sein Langspielfilmdebüt zu einer Schule des Sehens und Hörens, in der dem Zuschauer nichts aufgedrängt wird, in der jeder Blick, jedes gesprochene Wort nachklingen und atmen kann. Dazu gehört auch das tiefsitzende Trauma der Pflegeeltern, das sich ganz so langsam wie diskret materialisiert.

 

Anke Sterneborg, rbbKultur