Deutsches Haus © Disney+ / dpa
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Historische Drama-Serie bei Disney+ - "Deutsches Haus"

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2015 kam bei uns der vielbeachtete Film "Der Staat gegen Fritz Bauer" in die Kinos. Lars Kraume erzählt da von den Ermittlungen gegen den Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann, im Rahmen der ersten Prozesse, bei denen deutsche Täter nicht von alliierten, sondern von deutschen Anklägern zur Verantwortung gezogen wurden. Ab morgen ist beim Streamingdienst Disney+ die fünfteilige Miniserie "Deutsches Haus" zu sehen, die ebenfalls von den Frankfurter Auschwitz-Prozessen erzählt.

"Deutsche Haus" ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Annette Hess, die wiederum mit ihren Drehbüchern zu den je drei Staffeln "Weissensee" und "Ku’damm 56/59/63" Seriengeschichte geschrieben hat. Bei der in Polen gedrehten deutschen Disney-Originalserie "Deutsches Haus" hat sie nicht nur ihren eigenen Roman adaptiert, sondern fungierte zugleich als Gesamtverantwortliche der Prestige-Produktion.

Heimelig unheimlich

Das titelgebende deutsche Haus ist eine heimelige und gelegentlich auch ein bisschen unheimliche, deutsche Kneipe in Frankfurt, ein Familienunternehmen in den frühen Sechzigerjahren. Vater Ludwig brät Schnitzel und richtet Kartoffelsalat auf Tellern an, Mutter Edith (Anke Engelke) serviert wie am Fließband bestellte Gerichte, und die jüngste Tochter Eva hilft in der Küche.

Als im Radio von den Prozessen berichtet wird, kappt der Vater eilig den Ton. Im emsigen Wirtschaftswunder-Deutschland haben Täter und Mittäter die Kriegsverbrechen verdrängt, doch Eva protestiert, ihre Neugier und ihr Entsetzen sind geweckt, seit sie an einem Sonntag kurz vor Weihnachten als Übersetzerin angefragt wurde, für einen Prozess gegen SS-Offiziere, die in Auschwitz gearbeitet haben. So tappt Eva ganz naiv mitten hinein in die Gräuel des Nazi-Regimes, denn am Gericht soll sie Zeugenaussagen polnischer Holocaust-Überlebender übersetzen. Eine Aufgabe, für die ihr erst mal der Wortschatz fehlt: "vergasen" - das kannte sie bisher noch nicht.

Deutsches Haus, Disney+ Mini-Serie © picture alliance/ dpa/ Disney+/ Jarosław Sosiński
Bild: picture alliance/ dpa/ Disney+/ Jarosław Sosiński

Fade Ausreden

In ihrer ersten großen Rolle bringt Katharina Stark dieses Schwanken zwischen naiver Unschuld, erwachendem Bewusstsein und wütender Anklage zum Schillern. Überrascht stellt sie fest, dass ihre Eltern den Hauptangeklagten kennen, sie hat das ungute Gefühl, ihn und seine Frau von früher zu kennen. Als ihre Eltern leugnen, klagt sie an: "Ihr habt zwar nicht selber gemordet, aber ihr habt es zugelassen: Sagt mir, was schlimmer ist!"

Auch vor Gericht haben die Täter beschämend fade Ausreden: "Mein Mandant ist immer gegen das gewesen, was im Lager passiert ist", behauptet einer der Anwälte. Und auf der Gerichtstoilette wird Eva von der Ehefrau eines der Angeklagten beschimpft, sie helfe mit, dass unbescholtene Bürger verleumdet werden!

Verdrängte Kollektivschuld

Die fiktive Übersetzerin Eva ist inspiriert von der Mutter von Annette Hess. Die habe damals einen Mann gesucht, eine Wohnung und dann Möbel, dann wurde sie schwanger - immer war etwas, das ablenkte, so dass sie auch von den Frankfurter Prozessen gar nichts mitbekam.

Als Kind der ersten Nachkriegsgeneration spürte die 1967 geborene Annette Hess diese verdrängte kollektive Schuld. Irgendwann googelte sie dann mal, was denn ein Polizist wie ihr Großvater, der nie über seine Zeit in Polen gesprochen hat, in den Vierzigerjahren da so getan haben könnte: und stieß auf 400 Stunden Tonprotokolle der Prozesse, die man auf der Seite des Fritz Bauer Instituts hören und lesen kann, so wie die Aussage eines polnischen Chirurgen, der in Auschwitz Häftling war. Übersetzt wurde sie von einer Dolmetscherin wie Eva in der Serie: "Ich habe die Leichen gesehen, die von den Leichenträgern fortgebracht wurden, und ich habe ebenfalls von den Leichenträgern gehört, dass er diese Exekutionen durchgeführt hat."

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Der saubere Schein und die braune Vergangenheit dahinter

Die Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts war schon der Motor von Annette Hess' Drehbüchern für die Serien "Weissensee" und "Ku'damm 54". Auch da gab es am Rande schon Figuren, die mit dem Erbe des Dritten Reiches ringen. Damit ihr niemand reinreden konnte, bei der auch sehr persönlichen Verarbeitung dieses Geschichtsbrockens, schrieb Annette Hess erstmal einen Roman. Nun hat sie als Drehbuchautorin und Gesamtverantwortliche für die Produktion dafür gesorgt, dass die beklemmend biedere und muffige Ordentlichkeit im Nachkriegsdeutschland authentisch eingefangen wird, der saubere Schein, unter dem die braune Vergangenheit nicht ruht.

Unter der Regie von Randa Chahoud und Isa Prahl kommt ein illustres Schauspielerensemble zusammen, neben Anke Engelke, Uwe Preuss, Aaron Altaras und Alice Dwyer ist auch Iris Berben dabei, die in einer kleinen, aber intensiven Rolle als polnische Holocaustüberlebende ihr jahrzehntelanges Engagement für eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts einfließen lässt: "Ich verstehe Sie nicht, wenn Sie sagen, Sie hätten nichts gewusst? Du hast nichts gewusst? Du hast nichts gewusst, und Du nicht! Alle habt ihr nichts gewusst, nein? Du hast auch nichts gewusst von den Vergasungen?!"

Gebrochen ist diese Frau und zugleich kraftvoll anklagend - mit den Angeklagten schaut sie auch den Zuschauern direkt in die Augen und ins Herz.

Gratwanderung zwischen Geschichtsaufarbeitung und Unterhaltungsanspruch

Es ist natürlich eine Gratwanderung, eine Unterhaltungsserie über die Spuren, die Nationalsozialismus und Antisemitismus bis heute in Deutschland hinterlassen. Bewusst haben sich die Filmemacherinnen gegen Rückblenden entschieden. Das Grauen entsteht hier vor allem im Kopf, allein durch die gesprochenen Worte. Die stärkste Szene ist eine lange Passage, in der einer der Staatsanwälte einfach nur minutenlang, bemüht sachlich, die lange Litanei der Taten verliest.

Anke Sterneborg, rbbKultur