Die Debatte mit Natascha Freundel, Nora Bossong und Armin Nassehi -
"Die AfD regiert in den Köpfen" (Nora Bossong)
Die Ampel-Koalition wollte Macht und Zukunft neu und besser gestalten: "Mehr Fortschritt wagen", ein "Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit", "Respekt" – das waren die Versprechen der neuen Regierung zu Beginn ihrer Amtszeit. Zur Halbzeit der Ampel-Koalition ist eher von Rücktritt und Neuwahlen als von Fortschritt die Rede.
Im September 2021 sprachen die Schriftstellerin Nora Bossong und der Soziologe Armin Nassehi in unserer Debatte noch sehr wohlwollend, Bossong sogar "ziemlich euphorisch" über das Wahlergebnis. Jetzt sagen sie, dass die "Regierungspartei schlechthin im Moment die AfD ist" (Nassehi), denn "die AfD versteht es, in den Köpfen zu regieren" (Bossong). Das sei nicht nur auf die multiplen Krisen und Kriege der vergangenen zwei Jahre zurückzuführen. Was Bossong und Nassehi 2021 von der rot-grün-gelben-Regierung erwarteten, könnte vielleicht doch noch umgesetzt werden: Mehr Teilhabe, mehr Zukunft wagen. Mehr Agieren als Reagieren. Und ein Zusammenschluss aller demokratischen Parteien gegen anti-demokratische Kräfte.
Armin Nassehi, geboren 1960 in Tübingen, ist seit 1998 Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Soziologie und Gesellschaftstheorie an der Universität München und seit 2012 Herausgeber der Kulturzeitschrift "Kursbuch". Zu seinen jüngsten Büchern gehören "Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft" (2019), "Unbehagen. Theorie einer überforderten Gesellschaft" (2021) sowie "Gesellschaftliche Grundbegriffe" (2023, alle C.H. Beck). Er wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Schader-Preis 2021. Nassehi ist Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Deutschen Nationalstiftung und des Bayerischen Ethikrats sowie Mitbegründer des PEN Berlin.
Nora Bossong, geboren 1982 und aufgewachsen in Hamburg und Bremen, lebt als freie Schriftstellerin in Berlin. Sie studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, außerdem Kulturwissenschaft, Philosophie und Komparatistik in Berlin, Potsdam und Rom. Sie ist Romanautorin, Lyrikerin und Essayistin. Zu ihren jüngsten Büchern gehören der Gedichtband "Kreuzzug mit Hund" (Suhrkamp, 2018), der Roman "Schutzzone" (Suhrkamp, 2019) sowie "Die Geschmeidigen: Meine Generation und der neue Ernst des Lebens" (Ullstein, 2022). Bossongs Bücher wurden vielfach prämiert, zuletzt 2020 mit dem Thomas-Mann Preis und dem Joseph-Breitbach-Preis. Sie ist Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken und Mitbegründerin des PEN Berlin.