Theater des Westens | Die Amme © Ferran Casanova
Ferran Casanova
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Theater des Westens - Die Amme

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Steffi Irmen hat sich von der Nebenrolle zur Hauptrolle hochgespielt. Sie war die Amme "Romeo und Julia"-Musical im Theater des Westens und hat dort so sehr díe Herzen des Publikums erobert, dass sie nun ihr eigenes Musical bekommt: "Die Amme", ebenfalls im Theater des Westens. Kai Luehrs Kaiser berichtet von der Premiere.

Dass die Solistin der "Amme", einer One-Woman-Show, einen ganzen Abend auf der riesigen Bühne zu füllen und zu tragen vermag, muss uns nicht wundern. Erfolgsbedingt wurde die Figur, die schon im "Romeo & Julia"-Musical von Peter Plate und Ulf Leo Sommer die Herzen erquickte, für dieses Spin-off hervorgeholt und auf die Piste geschickt.

Diese Amme von Julia Capulet erzählt nun dieselbe Geschichte, die wir kennen, aus der Dienstboten-Perspektive. Und zwar gegenüber einem unsichtbar anwesenden Shakespeare, der zu Recherchezwecken nach Verona kam. Das ist nicht historisch, kümmert uns aber wenig. Shakespeare, der nie in Italien gewesen ist, rekurrierte auf mehrere literarische Quellen, vor allem auf eine Renaissance-Novelle von Matteo Bandello.

Rosenstolz-Jukebox-Musical

In der Version der Amme geht die Feindschaft zwischen den Capulets und den Montagues auf eine schwule Affaire von Vater Capulet zurück, und zwar mit einem Spross der Montagues, der anschließend zu Tode kam (was den Erbzwist entfachte). Das sind so queere Ausschmückungen, von der Berliner Musical-Gemeinde mit Wohlgefallen quittiert. Viel wichtiger: Bei "Die Amme" handelt es sich um ein Rosenstolz-Jukebox-Musical. Die Premiere war denn auch der jüngst verstorbenen Rosenstolz-Sängerin AnNa R. gewidmet. Alle Titel werden von besagter Amme gesungen.

Steffi Irmen muss eine Wucht sein – und sie ist es. Optisch eine siegreiche Mischung aus Stefanie Rheinsberger und Kerstin Ott, also: wonnig, üppig, draufgängerisch und burschikos, verfügt über einen etwas gläsernen, nicht weichen, aber hellen und sehr wandlungsfähigen Mezzo mit Tendenz zur Röhre. Sie wirbelt hier Tische und Stühle über die Bühne, als sei es nichts. Sagen wir mal so: eine Madonna lactans als Möbelpackerin.

Deutsch-Pop mit Aufforderung zum Mitsingen

Das alles ist durchaus originell, und sehr geschickt gemacht. Denn wir müssen bedenken, dass die Figur mit ihrer Flügelhaube und den barocken Hüften nur einen kleinen Kostüm-Schritt über all die Nonnen-Musicals hinaus bedeutet, die es schon gibt. Dabei hat sie den unschätzbaren Vorteil, einen völlig rosenstolz-unverdächtigen Typus abzugeben. Musikalisch: bekenntnissatter Deutsch-Pop mit Aufforderung zum Mitsingen. Ich wurde scharf von allen Seiten ins Auge gefasst, weil ich – im Unterschied zu weiten Teilen des Premierenpublikums – die Texte nicht auswendig konnte. Mit "Ich bin ich" und "Liebe ist alles" sind etliche Hymnen der Volksverbrüderung dabei, gern auch auf der Grenze zum Kitsch. Muss man auch erstmal hinkriegen.

Fazit

Ich erbebe vor Respekt. Keine Frage, dass Steffi Irmen ihre Aufgabe bravourös meistert – unangekränkelt von der geringsten Furcht zu scheitern. Auch dann noch, wenn sie ständig mit dicken Füßen und fliegender Hitze kokettiert. Der Abend ist sauber, wenn ich das mal technisch so ausdrücken soll. Wer sehen will, wie sich jemand voll die Bresche wirft, ohne rot zu werden und ohne sich einen Schlitz ins Kleid zu machen – denn eigentlich ist das alles doch herzlich unglamourös –, ist hier genau richtig.

Kai Luehrs-Kaiser, radio3

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