Freiburger Barockorchester und Vox Luminis - Johann Sebastian Bach: Johannes-Passion
Passend zur Passionszeit führte das Freiburger Barockorchester zusammen mit dem belgischen Vokalensemble "Vox Luminis" eines der Gipfelwerke der Passionsmusik auf: Johann Sebastian Bachs "Johannes-Passion". Die Leitung hatte der französische Dirigent und Gründer von "Vox Luminis" Lionel Meunier.
Beide erhaltenen Passionen von Johann Sebastian Bach unterscheiden sich grundsätzlich in ihrer Anlage: Wird Jesus in der Matthäus-Passion als Opferlamm dargestellt, das Leiden und Tod erdulden muss, dient diese Darstellung in der Johannes-Passion der Verherrlichung Jesu. Gleich im gigantischen Eingangschor heißt es "Herr, unser Herrscher".
Die Johannes-Passion ist ein hoch emotionales Werk, voller Dramatik und so bis dahin wohl noch nie gehörter Dissonanzen. Das hat dem Werk bereits zu Lebzeiten Bachs den Vorwurf eingebracht, zu opernhaft zu sein – was allerdings ein absolutes Missverständnis ist.
Der Leiter im Chor
Auf der Bühne sah das in der Aufführung durch Vox Luminis und das Freiburger Barockorchester zunächst einmal recht ungewöhnlich aus: kein Leiter am Pult. Vielmehr hat Lionel Meunier, selbst auch Bariton, im Chor mitgesungen und von dort aus auch die Partie des Jesus gestaltet.
Bis auf den Evangelisten wurden auch alle anderen Partien und die Solo-Arien aus den Reihen des Chores besetzt. Diese wurden dann allerdings von den Sängerinnen und Sängern auf einem Podium sehr weit vorne vorgetragen.
Die Frage der Deutung
Mit dieser Disposition ist es Lionel Meunier gelungen, alles scheinbar Opernhafte dieser Passion wegzuwischen. Natürlich sind die Rollen Jesus, Pilatus, Petrus klar zugeordnet, aber nur der Evangelist steht wirklich im Zentrum, alle anderen singen aus dem Chor heraus und kehren nach ihren Soli und ihren Arien dorthin wieder zurück.
Der Schwerpunkt liegt also gar nicht so sehr auf der Handlung selbst, sondern bei den Arien. Hier findet die Deutung statt. Textliche Aufforderungen wie "betrachte" oder "erwäge" werden hier ernst genommen. Wir sollen darüber nachdenken, was dieses Passionsgeschehen für uns bedeuten könnte. Sünder sind wir alle, da ist niemand besser als der andere.
Und das ist ganz im Sinne Bachs. Dass sein Publikum die Passionsgeschichte aus der Bibel kennt, konnte er voraussetzen. Bei aller formalen Kunstfertigkeit auch der Handlung – in den Arien hat er gewissermaßen seine eigene Predigt formuliert.
Direkte Emotion
Glücklich jeder Chor, der alle Partien und Arien aus den eigenen Reihen besetzen kann. Vox Luminis kann das. Und alle arbeiten mit klarer Diktion, teilweise schneidender Schärfe. Da ist die Darstellung des Affekts, die direkte Emotion mitunter wichtiger als Tonschönheit. Egal, wer da vorne singt, man sitzt kerzengerade im Sessel und hält die Luft an. Auch als Chor hat Vox Luminis eine atemberaubende Gestaltungskraft. Wie sich hier Reibungen herausschälen, da kann man nachvollziehen, wie Bach seine Zeitgenossen hoffnungslos überfordert hat.
Mit dem wunderbaren Raphael Höhn hat man einen der derzeit besten Tenor für das barocke Repertoire. Als Evangelist hat er eine natürliche Autorität, muss überhaupt nicht forcieren. Sein kräftiger Tenor hat eine Mühelosigkeit. Er ist der Erzähler, der alles zusammenhält, mehr noch: er ist der Spielleiter, das Zentrum der Aufführung.

Konzeptionell wie musikalisch beglückend
Das Freiburger Barockorchester begleitet – nicht. Denn alle wissen, dass das Orchester gleich wichtig ist. Und dass die meisten Arien in Wirklichkeit keine Solo-Arien sind, sondern Duette und Terzette mit Instrumenten. Das hatte eine beeindruckende Intensität. Bei der Arie "Es ist vollbracht" konnte man nicht sagen, was mehr berührt hat: der Altus oder die Viola da gamba.
Da war eine atemlose Stille im Publikum zu vernehmen, da ging es dann auch ohne das an anderen Abenden obligatorische Husten. Auf jeden Fall war das eine gleichermaßen konzeptionelle oder musikalisch beglückende Aufführung.
Andreas Göbel, radio3