Joana Mallwitz; © Sima Dehgani
Sima Dehgani
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Kurt Weill im Konzerthaus Berlin - Das Konzerthausorchester Berlin unter Joana Mallwitz

Bewertung:

Die Musik von Kurt Weill hat die neue Chefdirigentin am Konzerthaus Joana Mallwitz ins Zentrum ihrer ersten Spielzeit gestellt, und jetzt gab es Weill im Doppelpack: die zweite Sinfonie und das Ballett mit Gesang "Die sieben Todsünden“.

Anfang der 1930er-Jahre hat Kurt Weill das komponiert als beißende Kapitalismuskritik. Zwei Schwestern in den USA ziehen aus, um Geld für ihr Häuschen zusammenzubekommen. Und sie müssen erleben, wie sie für ein bisschen Wohlstand all ihre Werte und ihre Moral opfern müssen. – Ein Erfolg war das schon damals nicht…

Ungestellte Fragen

Für die aktuelle Produktion folgt man zunächst dem Original: Die Hauptfigur Anna ist aufgespalten in Sängerin und Tänzerin. Man erlebt das richtig inszeniert mit zwei Podien vor der Bühne, wo die doppelte Anna ausgestellt ist, dazu ein Gesangsquartett, das von der Orgelempore bis in den Zuschauerraum herumwuselt, warum auch immer.

Nur bleibt die Frage, warum man das heute aufführen sollte, welche Aspekte sich heute daraus ergeben könnten, ungestellt. Die Tänzerin agiert mit nichtssagenden Armschwüngen, rollt sich auch mal auf dem Boden, also das komplette hilflose choreographische Repertoire, wenn man nicht weiß, was man ausdrücken will.

Natürlich könnte man fragen: Wie äußert sich heute Doppelmoral? Wo bleiben heute unsere Werte auf der Strecke? Aber das verhandelt diese Produktion nicht einmal im Ansatz.

Musicalstar alleingelassen

Immerhin hatte man niemand Geringeren als Katharine Mehrling, gefeierte Musicaldarstellerin, zuletzt an der Komische Oper in "Chicago“. Aber sie hatte keine Chance, irgendetwas daraus zu entwickeln. Sie kennt das Repertoire auswendig, vor einem guten Jahr hatte sie es schon mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin aufgeführt. Aber sie steht alleingelassen auf ihrem Podium.

Natürlich kann sie es über die Rampe bringen, wenngleich die Verstärkung ziemlich übersteuert ist. Und, leider: gemessen an dem, was man von ihr in ihren Lieder- und Chansonabenden kennt, von ihrer Bühnenpräsenz, wo sie spielen, singen, tanzen, darstellen kann, bleibt das alles sehr blass. Da ist sie alleingelassen von der konzept- und ideenlosen Regie.

Im Begleiten erschöpft

Das Konzerthausorchester begleitet in angemessen kleiner Besetzung. Das hat Joana Mallwitz gut im Griff, die knappe, fast aphoristische Herangehensweise funktioniert, alles ist gut übereinander.

Aber mehr kann man darüber auch nicht sagen. Die übersteuerten Singstimmen degradieren das Orchester zum Begleiten. Es plätschert mit, nicht ganz falsch, aber die in jeder Hinsicht missglückte Aufführung kann das auch nicht retten.

Geniestreich – enttäuschend gespielt

Nun stand aber auch die 2. Sinfonie von Kurt Weill auf dem Programm. Und das ist ein Werk, das zu den vielschichtigsten und doppelbödigsten Werken aus der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts zählt. Kurt Weill hat das schon weitgehend in der Emigration in Frankreich geschrieben – 1933/34 – als er vor dem NS-Regime flüchten musste.

Das ist Musik voller Sarkasmus, voller Schmerz, aber auch in schönster Klangintensität und Wärme. Weill schreibt ein: trotz allem, um Menschlichkeit in Unmenschlichkeit zu bewahren. Das steht in der Tradition der Sinfonie, ist aber gleichzeitig ein unbarmherziges Dokument seiner Zeit. Kurz: eines der bedeutendsten Werke dieser Jahre.

Aber wo hörte man das in dieser Aufführung? Dort, wo es präzise und knisternd sein musste, war es bräsig, schwerfällig und klebrig. Die Streicherbesetzung viel zu groß (nur mitgenommen, weil der Strauss vorher das verlangte?), erstickt unter einem Wollteppich, die Bläser, bei Weill so wichtig, unterdrückt und erstickt. Und das bei einem Komponisten, der ein hellsichtiges, verzweifeltes, aber doch so hoffendes Werk schreibt. Eine ernüchternde Aufführung.

Was läuft schief?

Warum enttäuscht das Konzerthausorchester wieder einmal? Und das, wo Joana Mallwitz am Pult alles richtig macht. Sie ist agil, präzise in ihrer klaren Zeichengebung. Und vom Orchester hört man das alles unscharf und verwaschen. Das, was klar signalisiert wird, wirkt wie ein Schwapp kalten Wassers.

Im Fußball würde man böse fragen: spielt da eine Mannschaft gegen den Trainer? Aber das kann es nicht sein. Eher wirkt das Konzerthausorchester von dem, was Joana Mallwitz verlangt, überfordert. Auf jeden Fall hat sie eine Menge Arbeit vor sich, um die sie sicher niemand beneidet. Das war ein ernüchternder Abend, aber vielleicht ein Ausgangspunkt für eine Basis, die einen neuen Orchesterklang hervorbringen kann. Wünschen würde man es dem Haus, dem Orchester und der Dirigentin – und dem Publikum - von Herzen.

Andreas Göbel, rbbKultur