Album der Woche | 24.06. - 30.06.2024 - Johann Sebastian Bach: Violinkonzerte
Johann Sebastian Bachs Kompositionen zählt der Geiger Leonidas Kavakos zu den großen Errungenschaften der Menschheit. Um Bachs Violinkonzerte aufzuführen, hat er vor drei Jahren extra das ApollΩn Ensemble gegründet. Nun haben sie die Konzerte und das berühmte Air von Bach auch auf CD eingespielt.
Für seine Bach-Interpretationen hatte Leonidas Kavakos zwar schon als 19-Jähriger einen Preis beim Internationalen Geigenwettbewerb Indianapolis bekommen. In der Jury saß damals sogar einer der führenden Bach-Interpreten: der Geiger Henryk Szeryng. Doch Leonidas Kavakos hatte trotz der Preise und der allgemeinen Bewunderung für seine brillante Spieltechnik das Gefühl, in einer Sackgasse zu stecken.
Suche nach dem richtigen Spirit
Leonidas Kavakos will mehr als nur "ein wunderbarer Geiger" sein:
"Ich möchte wissen: Wie kann ich mich weiterentwickeln? Woran kann ich arbeiten, um auf einem anderen Niveau zu spielen, um genau das zu tun, wozu wir da sind: der Musik zu dienen. Ich will mich mit dem Spirit großer Komponisten verbinden und mit der großartigen Musik, die sie uns hinterlassen haben.“
Also suchte er nach einem Mentor. Ganz bewusst nicht nach einem Geiger, der auf Spieltechnik achtet. Sondern nach einem Musiker, von dem er lernen konnte, Bachs Musik von Grund auf zu verstehen. Das ist für ihn eine entscheidende Voraussetzung, um sie angemessen zu interpretieren. Ein Studienfreund empfahl ihm den ungarischen Pianisten und Hochschullehrer Ferenc Rados. Und dieser Mann war für Kavakos eine Offenbarung:
"Kannst du dir vorstellen, in einem dunkeln Raum zu sein – und plötzlich ist da ein Fenster, von dem du gar nichts wusstest? Und jemand öffnet das Fenster und der Blick nach draußen ist wunderschön. Genau das war der Effekt.“
Erkundung einer neuen Welt
Der Blick aus dem geöffneten Fenster wies ihm den Weg – und Leonidas Kavakos hörte erst einmal auf, Bachs Musik vor Publikum aufzuführen. Stattdessen fuhr er fast jedes freie Wochenende nach Budapest zu Ferenc Rados und erkundete mit ihm eine ganz neue Welt, studierte Partituren und probierte viele Sachen aus.
Eine andere Offenbarung war eine historisch-informierte Bach-Aufnahme des Barockgeigers Sigiswald Kuijken. Sie brachte ihn auf die Idee, einen Barockbogen auszuprobieren.
"Ich habe mir einen Barockbogen anfertigen lassen. Und mit dem habe ich dann geübt und ich habe sofort sehr viel verstanden. Ich glaube, es ist für jeden Streicher wichtig, mit dem Barockbogen zu experimentieren, bevor man Bach vor einem Publikum spielt. Auch wenn man einen modernen Bogen benutzt. Die Spieltechnik des Barockbogens ist in einem modernen Bogen enthalten.“
Bereit für Bach mit neu gegründetem Ensemble
Nach jahrelangem intensiven Studien und Experimenten war Leonidas Kavakos bereit für Bach. Auf seinem neuen Bach-Album spielt er die Violinkonzerte mit einem modernen Bogen. Mit dem habe er mehr Möglichkeiten, die Töne zu gestalten. Und er könne lauter spielen, sodass der Klang auch in großen Konzerthallen ausreicht.
Extra für sein Bach-Projekt hat Leonidas Kavakos das ApollΩn Ensemble gegründet. Die meisten der Ensemble-Mitglieder kennt er schon sehr lange und den Cembalisten hatte er bei einem gemeinsamen Konzert kennen- und schätzen gelernt. Dass die Chemie zwischen den Musikern stimme, sei für die Interpretation sehr wichtig, sagt Leonidas Kavakos: "Das ist eine zusätzliche Dimension.“
Und diese Dimension ist umso wichtiger, wenn - wie beim ApollΩn Ensemble - jede Stimme von nur einem Musiker gespielt wird. In dieser kleinen Besetzung wird die Solostimme mehr zum Teil des Ensembles und die Orchesterstimmen werden persönlicher.
Meisterhafte Polyphonie und himmlische Schönheit
Welches von den Violinkonzerten Bachs ihm am besten gefalle? Darauf hat Leonidas Kavakos keine Antwort. Die schnellen Sätzen seien sehr abwechslungsreich und da zeige sich Bach als Meister der Polyphonie. Kein anderer habe es so gut verstanden, jeder einzelnen Stimme so große Bedeutung zu verleihen. Und von der unglaublichen Schönheit der langsamen Sätze ist Leonidas Kavakos immer wieder besonders angetan:
"Ich weiß nicht, wie es im Himmel ist, aber sie bringen dich an einen Ort, der dem nahe kommt.“
Imke Griebsch, radio3