Staatstheater Cottbus | Kammerbühne - "Woyzeck" nach Georg Büchner
Im Jahr 2016 gewann Anna-Elisabeth Frick den renommierten Wettbewerb "Körber Studio Junge Regie". Danach hat die Theaterkarriere der 1989 in Darmstadt geborenen Regisseurin richtig Fahrt aufgenommen und sie inszenierte in Mannheim und Freiburg, Wuppertal und Kiel. Jetzt zeigt sie ihre erste Regiearbeit in Cottbus. An der dortigen Kammerbühne hatte am Samstag ihre Version von Georg Büchners Dramenfragment "Woyzeck" Premiere.
Anna-Elisabeth Frick nennt ihre Sicht auf Büchners "Woyzeck" eine "performative Erzählung", will das Sprechtheater mit Tanz, Musik und Video zu einer Performance verbinden, das Dramenfragment anders und neu erzählen und uns die zeitlose Aktualität von Büchners sozialkritischer und tiefen-psychologischer Szenen-Collage vorführen. Sie zeigt uns Woyzeck als gedemütigten, gesellschaftlichen Außenseiter, der, von inneren Dämonen gepeinigt, aus Eifersucht seine Lebensgefährtin Marie tötet, den einzigen Menschen tötet, den er liebt und der ihm Halt geben könnte.
Choreographie des Todes
Um die Gemengelage aus mehreren Perspektiven zu sezieren, durchmischt sie den alten Text mit zeitgeistigem Gebrabbel, streicht einige Szenen und Figuren ganz, verdoppelt und verdreifacht dafür aber andere Protagonisten, den Hauptmann, den Arzt, den Budenbesitzer, die ihre Beschimpfungen und Beleidigungen dann in einem mehrstimmigen Chor auf den wehrlosen Woyzeck niederprasseln lassen.
Beäugt wird das Geschehen von Videokameras, die ihre Bilderschnipsel auf einen Gaze-Vorhang werfen, hinter dem sich das tödliche Drama unausweichlich ereignet. Auf den Vorhang werden auch Textschnipsel aus dem Büchner-Fragment projiziert, dazu weben computergenierte Klangfetzen einen akustischen Teppich, grelle Lichteffekte verwirren die Sinne und ritualisierte Bewegungen machen das ganze zu einer Choreographie des Todes.
Ungewöhnliche Eröffnung mit szenischer Ouvertüre
Zur Eröffnung entscheidet sich Anna-Elisabeth Frick für eine szenische Ouvertüre, die es bei Büchner nicht gibt, und verwickelt den verschwitzen Woyzeck, gespielt von Johannes Scheidweiler, in ein musikalisch-tänzerisches Gerangel mit Sophie Bock, Ariadne Papst und Cedric von Borries, die im Laufe des Abends in sämtliche anderen Rollen und Kostüme schlüpfen. Von dröhnender Musik berauscht bedrängen sie Woyzeck, rufen ihm zu, er stinke fürchterlich, solle endlich mal duschen und ein Deo benutzen, dann lassen sie ihn einsam und allein hinterm Gaze-Vorhang zurück und erscheinen, frisch verkleidet als Budenbesitzer, wieder auf der Spielfläche, um Woyzeck als tierisches Wesen und entartete menschliche Attraktion vorzuführen und lächerlich zu machen.
Die meistens Inszenierungen beginnen mit dem Rasieren des herrischen Hauptmanns, um Woyzeck als Opfer gesellschaftlichen Verhältnisse zu zeigen, oder sie eröffnen mit dem Besuch beim Arzt, der Woyzeck zum Opfer zynischer Experimente macht und ihn gegen ein kleines Entgelt dazu vergattert, sich nur noch von Erbsen zu ernähren. Die Regisseurin wählt einen anderen Beginn: Kann man machen, muss man aber nicht.
Banales und befremdliches Ende
Die Regisseurin beendet ihre Sicht auf das Stück auf ziemlich ungewöhnliche Weise: Bei ihr gibt es keinen Teich, in den Woyzeck die Mordwaffe nach vollendeter Tat wirft und sich dann selbst ertränkt. Statt Marie mit dem Messer umzubringen, stopft er sie in eine Bodenluke und mampft zum Abendbrot eine blutig-rote Frucht. Statt Selbstmord zu begehen, wird er von einem Alptraum heimgesucht, in dem drei als Krabben verkleidete Wesen auftreten und das Märchen von einem armen Kind erzählen, das ganz traurig und allein auf der Welt ist.
Bei Büchner sagt die Großmutter, noch bevor Woyzeck Marie ermordet, zu einigen neugierigen Kindern: "Kommt, ihr kleinen Krabben!", und erzählt ihnen dann das Märchen. Aber wenn die Großmutter aus dem Text gestrichen wird, können natürlich auch drei alberne Krabben das Schlusswort haben und den Büchner-Text verunzieren: Das ist banal und befremdlich.
Unzeitgemäßes Frauenbild
Vor dem Gaze-Vorhang steht ein Garderobenständer für die drei Darsteller:innen, die in vielerlei Kostüme und Rollen schlüpfen, sich auf kleine Schäkereien mit dem Publikum einlassen, bevor sie sich ins Getümmel stürzen. Hinterm Gaze-Vorhang haust Woyzeck in einem mit Plastikplanen umstellten und mit Kacheln gemauerten Käfig, als wäre er ein Affe im Zoo, den man begafft, mit Bananen füttert und für Experimente missbraucht. Wenn Woyzeck es nicht mehr aushält, öffnet er eine Bodenluke und irrt, von Videokameras beäugt, durch das unterirdische Theater-Labyrinth. Gelegentlich bedrängen ihn die Ärzte mit Spritzen, zwingen ihn, sich zu entblößen und kontrollieren, wie ihm die Erbsen bekommen.
Manchmal schaut Marie vorbei, stolziert wie auf einem Catwalk herum und liegt ihrem genervten Woyzeck damit in den Ohren, dass sie gern öfter mal Klamotten von Armani und bei Gucci kaufen und bei Starbucks Kaffee trinken möchte. Gern auch wirft sie lüsterne Blicke auf den Tambourmajor, der einen riesigen roten Bleistift als Penis-Ersatz vor sich her trägt und Marie um den erotischen Verstand bringt, wenn er den Bleistift in den Anspitzer steckt. Ein seltsames und unzeitgemäßes Frauenbild.
Multimediales ersetzt die inhaltliche Auseinandersetzung
Es ist einer dieser Abende, bei denen das Herumfuchteln mit multimedialen Mitteln die konzentrierte inhaltliche Auseinandersetzung ersetzt und zum Selbstzweck wird. Wenn einige Zuschauer bereits nach einer Viertelstunde einen verschämten Blick auf Uhr und Handy werfen, sagt das eigentlich alles - und das ist nichts Gutes.
Frank Dietschreit, rbbKultur